Lübeck – Kann es sein, dass Ehrenamtler bei oder nach ihrer Tätigkeit Angst haben? Muss man hier nicht gegen solche Zustände mit allen Mitteln vorgehen, wenn Menschen um ihre Gesundheit oder das Wohl ihrer Familie fürchten, überlegen, wie es weitergeht?
So geht es derzeit Ali T. (Name der Redaktion geändert). Der Schiedsrichter wurde Opfer einer Attacke eines Fußballers am vergangenen Sonntag in Lübeck (HL-SPORTS berichtete). Er gab in einem Kreisklassenspiel eine Rote Karte wegen Tätlichkeit und wurde daraufhin bedroht und sogar geschlagen. Erst 90 Minuten nach Spielschluss konnte der Unparteiische die Sportanlage unter Polizeischutz verlassen. Die wurde nämlich gerufen, weil der Rotsünder keine Ruhe gab. Ein großer Aufschrei war das Ergebnis des Vorfalls, der leider kein Einzelfall ist.
Der 40-Jährige sagte zwei Tage danach bei HL-SPORTS: „Ich habe Angst um meine Familie und mich!“
Eine Augenzeuge (Name der Redaktion bekannt) berichtet gegenüber HL-SPORTS: „Es war schon ein sehr beängstigendes Gefühl, als der Schiedsrichter ohne Schutz alleine vom Platz gehen musste und dann von dem Rotsünder angegriffen wurde. Dabei wurde er geschlagen. Erst danach gingen andere Personen dazwischen und halfen ihm. So etwas darf es nicht geben. Man hätte das verhindern können.“
Der Schiedsrichter wollte sich nicht weiter zu dem Vorfall äußern. Sicher aus der von ihm beschrieben Angst, denn die Sache war nach dem Spiel noch nicht zu Ende. Ali T. wollte nach dem Duschen die Kabine verlassen. Draußen wartete der Schläger und gab laut Zeugen an, dass er ihn mit dem Auto verfolgen würde. Erst die herbeigerufene Polizei beendete den Krimi.
Ein Strafantrag wegen Körperverletzung und Bedrohung läuft, ein Verfahren des Kreisfußballverbandes (KFV) ist eingeleitet. Auch andere Schiedsrichter (nicht nur in Lübeck) werden immer wieder Opfer von Angriffen „durchgeknallter“ Spieler. Wie kann man so etwas erst gar nicht aufkommen lassen? Die Vereine und Verbände scheinen machtlos.
Peter Geese ist Beauftragter für Gewaltprävention beim KFV Lübeck. Er weiß, was es heißt, immer wieder solche Vorfälle zu bekämpfen. Erst im vergangenen Juni sagte er bei HL-SPORTS: „Offizielle Veranstaltungen, die zu diesem Thema von den Verbänden angeboten werden, sind bisher nur sehr mäßig von den Vereinen genutzt worden. Traurig ist, dass bei der letzten Veranstaltung in diesem Jahr nur drei Vereine vertreten waren. Eine Sensibilisierung ist sehr willkommen.“
Es werden aber nicht nur Schiedsrichter bedroht und tätlich angegriffen. Auch Spieler oder sogar deren Frauen oder Freundinnen müssen sich gegen Attacken wehren. Das ist eine neue Qualität der Gewalt.
Es ist kein Lübecker Problem, sondern eines der Gesellschaft.
In Kronach musste vor kurzem ein Spiel in der Frauen-Bezirksliga kurz vor dem Ende abgebrochen werden. Ein Trainer ging auf einen Schiedsrichter los.
Anfang September wurde ein Hobby-Fußballer zu einer einjährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er im vergangenen November einen Schiedsrichter bewusstlos schlug. Der WDR berichtete darüber (http://www1.wdr.de/themen/infokompakt/nachrichten/nrwkompakt/haft-fuer-angriff-auf-schiedsrchter-100.html). Vor dem Richter sagte der 25-jährige Täter: „Ich schäme mich.“
Die meisten Partien werden friedlich beendet, doch jeder Einzelfall ist einer zu viel. Kreisschiedsrichterobmann Boris Hoffmann ist besorgt: „Ich habe keinen Bock mehr auf solche Vorfälle. Wir werden Präventivmaßnahmen ergreifen und in der Zukunft noch genauer hinschauen.“
Die Aktion vom vergangenen Sonntag wird vermutlich vor einem Zivilgericht enden. Und das alles nur wegen eines Fußballspiels.