Lübeck – Ein paar Tage sind es noch bis zum Weihnachtsfest und wir befinden uns in einem harten Lockdown. Die Stimmung ist vielerorts geknickt und COVID-19 hat mit Corona die gesamte Welt vollends im Griff. Die Zahlen sind in Deutschland so hoch wie noch nie seit Beginn der Pandemie im vergangenen März. Doch wie sieht die Medizin die Situation. Professor Dr. Jan Rupp, Direktor der Klinik für Infektiologie und Mikrobiologie am UKSH Lübeck, ist Fachmann für das Virus und stand in diesem Jahr bereits mehrfach bei HL-SPORTS für Fragen bereit. Auch kurz vor den Feiertagen nahm er sich die Zeit und gibt eine Aussicht auf das kommende Jahr. Diese sieht zwar noch recht düster aus, aber er gibt auch Hoffnungen mit in 2021.
HL-SPORTS: 190,3 war gestern der Inzidenzwert in Lübeck. Was haben wir falsch gemacht?
Prof. Jan Rupp: Man hat den Begriff „Lockdown light“ vielleicht in den Maßnahmen primär mit „light“ verwechselt. Ich denke, dass wenn man es konsequent durchgesetzt hätte, wobei es für einige Bereiche ja schon ziemlich hart war, dann würden wir jetzt besser dastehen. Wir zahlen jetzt den Preis dafür.
HL-SPORTS: Wie ist die Lage im UKSH und den anderen Kliniken in Lübeck?
Prof. Jan Rupp: Der Druck ist seit einer Woche deutlich höher, als wir ihn jemals hatten. Es werden mehr Patienten aufgenommen und das auch, weil in den umliegenden Krankenhäusern die Kapazität deutlich schwindet. Es fällt dazu noch Personal aus, was auch mit den früher beginnenden Schulferien zusammenhängt. Wir haben Ausfälle bei den Mitarbeitern, die krank sind, dabei nicht nur mit COVID. Das macht die ganze Situation in dieser speziellen Phase noch schwieriger. Wir haben derzeit die höchsten Zahlen in der gesamten Pandemie. Und wir haben jetzt auch Anfragen aus den umliegenden Kreisen. In Stormarn war die Situation in den vergangenen beiden Tagen schwierig und Hamburg nimmt zum Teil keine Patienten mehr auf. Die kommen natürlich nach Norden. Wir können die Intensivbetten noch erhöhen, aber die Frage ist, wieviel Personal zur Verfügung steht.
HL-SPORTS: War es doch ein Fehler die Schulen aufzulassen? Wie sehen die meisten Infektionen bei der Gruppe zwischen 15 und 34 Jahren und danach schon gleichauf die 35- bis 59-Jährigen.
Prof. Jan Rupp: Ich möchte da jetzt keine Gruppen vorverurteilen und halte das für total gefährlich. Diese beiden Altersklassen waren schon vorher diejenigen, die stark betroffen waren. Die Erfahrungen zeigen, dass die Grundschulen und die ersten Klassen der weiterführenden Schulen nicht zu einem großen Anstieg der Infektionen beitragen. Das diffuse Geschehen ist durch die Vermischungen der unterschiedlichen Kontakte zustande gekommen.
HL-SPORTS: Der Sportunterricht wurde ebenfalls aufrechterhalten. Dabei hatten wir im Oktober ein „Superspreader-Event“ beim Handball in der 3. Liga zwischen der HG Hamburg-Barmbek und der HSG Ostsee, wo sich 18 Menschen ansteckten. Teilweise waren in der Schule drei Klassen in einer Sporthalle gleichzeitig im Unterricht. Warum hat man dort nicht früher gehandelt?
Prof. Jan Rupp: Es ist von manchen Schulen sogar viel restriktiver gehandhabt worden als die Vorgaben waren. Es gab eher Schwierigkeiten im familiären Bereich, wo man eher die Kontaktbeschränkungen laxer hielt. Bei, vor oder nach diesem speziellen Spiel wird man sich womöglich an die Masken gehalten und auch kein gemeinsames Bierchen getrunken haben. Ich sage das deswegen so provokant, weil wir überall Situationen erleben, wo es heißt „wir haben doch nur fünf Minuten zusammen in der Kantine Kaffee getrunken“ – es sind vielleicht immer nur fünf Minuten, auch wenn es doch 20 Minuten waren. Diese Unschärfe fliegt uns gerade um die Ohren. Das ist total menschlich und jetzt geht es gerade nicht schief und jetzt klappt alles und jeder denkt das gerade für sich. Dadurch wird es die Masse, die wir jetzt haben. Wer geht schon in der Gruppe auf den anderen zu und sagt „wir lassen das jetzt Mal…?“ Man muss einfach nur die Tagesschau anschauen, dann merkt man was los ist. Nun müssen die Alarmglocken auch bei dem letzten schrillen, wenn es heißt: wer kommt jetzt auf die Intensivstation und wen nicht? Soll der COVID-Patient an die Beatmungsmaschine oder der mit dem schweren Verlauf eines Herzinfarktes? Ich nenne es Mal kriegsähnlich und das hatten wir bisher noch nie. Darum die Sorge von vielen Medizinern in den kommenden zwei Wochen nochmal so einen Booster zu bekommen… den werden die Krankenhäuser nicht mehr abfangen.
HL-SPORTS: Einige Menschen haben Bedenken bei der Impfung. Wie ausgereift ist der Impfstoff und warum ging das so schnell?
Prof. Jan Rupp: Ich nenne nur zwei Fakten, weil es sehr vielschichtig und auch ziemlich transparent nachzulesen ist. Das eine ist, dass unheimlich viel Geld zur Verfügung steht. Das ist wichtig, denn sonst bekommt man große Studien nicht so schnell gemacht. Wenn sich alle Regierungen und Pharmafirmen einig sind, geht das wie wir sehen. Die Prozesse wurden auch in den Behörden, die das Ganze überprüfen, viel schneller bearbeitet. Bis die verschiedenen Phasen starten vergeht da sonst schon Mal ein halbes Jahr. Jetzt hat man viel schneller die zweite und danach die dritte Phase gestartet und die Behörden haben parallel geprüft, was machbar oder nicht machbar ist. Das verkürzt alle Prozesse ungemein. Ich finde es auch gut, dass in Europa mit Bedacht daran gegangen wird. Schön, wenn wir den Impfstoff schnell hätten, aber noch schöner ist es, wenn wir die Sicherheit dabei haben. In den USA oder Großbritannien hatte man mehr Druck von oben. Unser Verfahren in Europa erhöht die Akzeptanz aus meiner Sicht. Wir wissen relativ viel um mögliche Nebenwirkungen, die in den ersten zwei Wochen auftreten könnten. Für die große Masse sehen wir da aber keine Probleme. Man ist heutzutage auch technisch viel weiter als noch vor einigen Jahren. Es ist das eine Protein so wichtig, was den Impfstoff so gut macht. Und da weiß man inzwischen genau, wie sich das Virus verhält und hat darauf reagiert. Bisher ist es weltweit bei den Impfungen recht gut gelaufen.
HL-SPORTS: Steckt in der Ankündigung des Impfstarts nicht die Versuchung leichtsinnig zu werden?
Prof. Jan Rupp: Das ist der Punkt. Es wird sich erst einmal nichts ändern. Solange wir eine hohe Zirkulation in der Bevölkerung haben, wird man weiter an Masken und Abstand festhalten müssen. Es ist nun der erste Schritt mit der Impfung. Man wird es vermutlich in den Alten- und Pflegeheimen erleben, wo es zuerst sichtbar wird, wenn man einen positiven Fall hat, aber die Ausbreitung nicht mehr so stark ist wie jetzt.
HL-SPORTS: Wann können wir wieder Amateursport sehen?
Prof. Jan Rupp: Wir bewegen uns auf einem Level, wo wir wünschenswertes und essentielles abwiegen müssen. Ich gebe zu, dass die Schulen jetzt eine Woche früher vom Netz genommen wurden, fand ich persönlich infektionsepidemiologisch nicht begründbar, aber okay, es war eine politische Entscheidung und da kann ich mitgehen. Bevor wir aber nicht wissen, wie es ab dem 10. Januar weitergeht und wer sich als erstes etwas traut, würde ich dafür plädieren, dass die Schulen und Hochschulen geöffnet werden und die Wirtschaft in Gang kommt. Und natürlich geht dann plausibel die Frage um, warum man dann kein Amateursport machen kann. Aber gerade, wenn wir wissen, dass beim Hallensport Risiken bestehen, dann haben wir wieder so „Superspreader-Events“. Es kann ja nicht unser Ziel sein, dass wir im Januar, Februar oder März – und solange sehe ich das Ganze noch für uns – unsere Grundbedingungen nicht ändern in den Wintermonaten. Wollen wir auf ein Level mit einem 50er Inzidenz kommen und auf gewisse Dinge vorerst weiter verzichten oder gehen wir diese dauerhafte Wellenbewegung zwischen hartem Lockdown und Öffnungen, die psychologisch für viele wahrscheinlich viel schwieriger zu ertragen wäre? Und dann plädiere ich mit Maß zu sagen: Es ist bitter und die Saison ist eh schon halb rum, aber wir müssen da jetzt durch, statt alle zwei Wochen Hoffnungen zu schüren und alles wieder einkassieren zu müssen, weil die Fallzahlen nicht stimmen. Es wird sich grundsätzlich nichts ändern, denn die Menschen bleiben genauso vernünftig oder unvernünftig und das Virus wird sich auch nicht anders verhalten. Wenn wir merken, dass es nicht funktioniert, so wie es jetzt mit dem „Lockdown light“ war, weil zu viel Dinge zusammenkamen, dann wäre es keine Motivation das genauso im Januar und Februar zu versuchen. Dann lieber Ruhe reinbringen, solide öffnen was notwendig ist und dann im März oder April mit mehr draußen sein, weiteren Impfstoffen und Therapien alles viel besser kontrollieren.
HL-SPORTS: Nun soll der Lockdown bis zum 10. Januar gehen – mindestens. Dann sind wir aber noch nicht durch, oder?
Prof. Jan Rupp: Nein, das ist das, was ich eben schon sagte. Wir sind dann noch nicht durch. Wir würden gerne, aber wir können nicht. Wir hätte dann ein erneutes Überschwappen der Infektionen in die Bevölkerungsgruppe, die ein hohes Risiko hat. Die Todesraten sind plakativ, aber das sind Zahlen, die die Menschen aufschreckt. Die Langzeitfolgen von Corona sind ebenfalls noch nicht verstanden. Jeder muss für sich in den nächsten Tagen schauen, wie er das akzeptieren kann. Das wird bis zum Frühjahr nicht einfach. Viele rechnen – und da kann ich durchaus mitgehen, dass Anfang Januar die Fallzahlen noch einmal steigen. Die Triage aus anderen Ländern war da vor kurzem ein klarer Hilferuf. Es bleibt zu sagen: Haltet euch an die Regelungen, damit das Ganze jetzt wieder zur Ruhe kommt und wir Corona kontrollieren können. Jeder Einzelne ist gefordert und sobald Angehörige von mir involviert, sehe ich es noch einen Tick drastischer. So weit soll es aber doch gar nicht gehen. Jeder stellt sich das anders vor, aber wir reduzieren einfach und hoffen darauf, dass das nächste Weihnachten wieder so ist, wie wir es kennen. Wenn wir im Januar erfahren, dass jemand infiziert ist und wir oder andere dafür geradestehen müssen, ist es keine Situation, in der man sich wohlfühlt. Da sollte man einfach sagen: das ist es nicht Wert.
HL-SPORTS: Vielen Dank für das Interview, Herr Professor und alles Gute für das neue Jahr.
Bildquellen
- Professor Dr. Jan Rupp: Foto: UKSH
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