Lübeck – Vor etwas mehr als sechs Jahren war es beileibe noch nicht sicher, dass die grün-weiße Gemeinde in diesem Jahr das hundertjährige Jubiläum ihres VfB Lübeck feiern würde. Zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit musste Ende 2012 ein Vereinsvorstand den Weg zum Amtsgericht antreten und einen Antrag auf drohende Zahlungsunfähigkeit stellen. Der Verein stand kurz vor seiner Auflösung. Doch weil eben jene grün-weiße Gemeinde damals eng zusammenrückte und Schritt für Schritt den Turnaround schaffte, kann der VfB in diesem Jahr viele besondere Momente erleben und zugleich auf eine bewegende Vereinsgeschichte zurückblicken.
Mit Christian Jessen ist in den vergangenen Monaten ein Lübecker Sportjournalist ganz tief in die Vereinshistorie eingetaucht und hat in seiner Zeitreise Spannendes, Wissenswertes und vor allem auch Neues entdeckt. Besonders im Fokus steht dabei die Geschichte rund um die Wurzeln des VfB. Denn anders als viele Jahre lang angenommen, entstand dieser nicht im April 1919, sondern erst einige Monate später, am 28. August 1919. Die darüber vorliegenden Erkenntnisse hat Christian Jessen mittlerweile im Kapitel rund um die Gründungsjahre des Vereins aufgeschrieben, aus dem zum besseren Verständnis in einer Mitteilung des Vereins vorab bereits einige Absätze zitiert werden:
„Nachdem sich im Jahr 1918 bereits einige junge Arbeitersprösslinge aus dem Stadtteil St. Lorenz zum „wilden“ Straßenfußballclub „Hansa“ zusammenschlossen, wurde daraus ein Jahr später mit dem Ballspielverein Vorwärts Lübeck ein „richtiger“ Verein – auch wenn der nicht im offiziellen Vereinsregister eingetragen wird. Das ist damals nicht unüblich. Auch der zweite VfB-Vorläufer SV Polizei wird erst acht Jahre nach seiner Gründung als „e.V.“ registriert. Als solcher wird übrigens selbst der ATSV Lübeck, durchgehend der mit Abstand größte Arbeiterverein in Lübeck, erst im Jahr 1930 eingetragen.
Das Gründungsdatum des BSV Vorwärts ist zuletzt an vielen Stellen mit dem 1. April 1919 angegeben worden. Dass der Verein wirklich an diesem Dienstag entstanden ist, ist aber mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch. Auch der 1. Oktober 1919 kommt in Betracht – die verbliebenen Vereinsgründer werden in den Mitgliederlisten der Nachkriegsjahre mit diesem Eintrittsdatum geführt. Zu Zeiten, als noch Gründungsmitglieder die Jubiläen mitfeiern, ist weder von April oder Oktober die Rede. Die Festschrift zum 30-jährigen Bestehen spricht von einer Entstehung „im Sommer“. Willi Burmeister, seit den späten 1920er-Jahren Vorsitzender beim BSV, datiert an gleicher Stelle die Vereinsgründung auf „August 1919“. Im Spätsommer wird auch in den Nachkriegsjahren gefeiert. Sucht man nach einem genauen Tag, so ist ist die Gründung am ehesten auf Donnerstag, den 28. August 1919 zu datieren. So wird im Jahr 1959 am 28. August das 40. Stiftungsfest begangen – möglicherweise auf Initiative der drei zu dieser Zeit noch dem Verein angehörenden Gründer. Das 50-jährige Jubiläum wird ebenfalls rund um diesen Tag eröffnet und die offizielle „Meldung“ des 75. Gründungstages durch den Vereinsvorstand an den DFB auch noch auf diesen Tag datiert. Der Kicker benennt den 28. August bis 1994 jahrelang als Gründungstag des VfB – und geht erst dann zum 1. April über, der zuvor einzig im Kicker-Almanach genannt wird. Genaue Erklärungen dafür gibt es nicht mehr. Da keinerlei schriftliche Unterlagen zur 3 existieren und die allermeisten Aufzeichnungen während der Nazi-Diktatur und im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen sind, ist hundertprozentige Gewissheit nicht mehr zu erreichen.
Als Gründungsmitglieder werden Bruno Behrens, Otto Frahm, Friedrich Lemm, Louis Maas, Anton Meyer, Carl Meyer, Hans Nagewitz, Alfred Regel, Heinrich Roser und Otto Schulze benannt. Soweit noch ermittelbar, sind fast alle noch im Teenager-Alter und rund um den neuen Hauptbahnhof in den Vierteln rund um die Hansestraße und zwischen Schwartauer und Fackenburger Allee beheimatet. Der erst 17-jährige Regel wird zum ersten Vorsitzenden gewählt, später folgen ihm in diesem Amt Carl Meyer und Wilhelm Burmeister. Die Vereinsfarben sind braun-weiß. Gespielt wird in braunen Hemden, weißen Hosen und braunen Stutzen. Das erste Vereinslokal befindet sich in der Schwartauer Allee 17b in Potzki’s Restaurant. Später ziehen die BSVer einige hundert Meter weiter in die Katharinenstraße 41, wo das Restaurant Marienburg für die längste Zeit zur Heimat wird. Über einen eigenen Platz verfügt der BSV nicht, gespielt wird zunächst meist auf dem Kasernenhof an der Fackenburger Allee, später auch auf dem benachbarten Kasernenbrink oder in seltenen Ausnahmefällen auf dem von der LT geschaffenen Sportplatz Dornbreite. Dem Dachverband ATB tritt der Verein zwischen dem 1. Oktober und 31. Dezember 1919 bei, in der Auflistung der neuen Mitgliedsvereine in der Arbeiter-Turn-Zeitung wird die Mitgliederzahl des BSV Vorwärts am 7. Januar 1920 mit 44 angegeben.“
Auf über 330 Seiten, illustriert mit vielen auch bislang unveröffentlichten Fotos, wird Christian Jessen nicht nur die Gründungsgeschichte, sondern alle Höhen und Tiefen, spannende Momente und lustige Anekdoten rund um den VfB und seine Vorgängervereine in den nachfolgenden 99 Jahre erzählen. Das Buch wird voraussichtlich im Juli 2019 im Verlag „Die Werkstatt“ erscheinen und überall im Buchhandel erhältlich sein. Diese Chronik ist eines von vielen Highlights im Jubiläumsjahr des VfB Lübeck. Eine Ausstellung in den VIP-Räumlichkeiten, deren Eröffnung nach den Erkenntnissen rund um das Gründungsdatum von Anfang April auf die Sommerpause verschoben wurde, ist die passende Ergänzung zum Buch. Eine Fanparty Anfang Juni und eine Jubiläumsgala Ende Juni sowie ein Jubiläumsspiel sind weitere Höhepunkte in den kommenden Monaten. Dazu wird der VfB Lübeck in Kürze konkreter informieren.