Hamburg – Merlin Polzin oder doch ein anderer Cheftrainer? Einen Tag nach der Entlassung von Tim Walter beim Hamburger SV ist die Suche nach einem Nachfolger in aller Munde. Wer führt den HSV zurück in die Bundesliga? Wer kann das garantieren?
Sportvorstand handelt gegen den Trend
Eine Antwort darauf gab Sportvorstand Jonas Boldt bereits am Montag: „Es sind immer Kleinigkeiten, die im Fußball fehlen. Deswegen haben wir jetzt die Entscheidung mit Merlin so getroffen, weil er ein Fachmann ist, der die Stellschrauben in die richtige Richtung dreht und trotzdem uns die Möglichkeit lassen, den Club weiter perspektivisch in die richtige Richtung gehen zu lassen. Wir wollen uns nicht aktionistisch treiben lassen, wie es das Business gerne hergibt.“
Zurück in die Heimat
Polzin ist seit dreieinhalb Jahren zurück im Volkspark. Von 2011 bis 2013 war er schon einmal beim HSV. Damals war der gebürtige Hamburger Jugendtrainer. Danach zog es ihn als Lehramtsstudent (Deutsch und Sport) zum VfL Osnabrück, wo er Co-Trainer in der U17, U19 und in der Profi-Mannschaft unter Daniel Thioune tätig war, zudem Chefcoach der B-Junioren. Zusammen mit Thioune ging es 2020 wieder in die Heimat.
Bruder Robin spielt noch beim BSV
Dort kennt sich der 33-Jährige aus. Der Volkspark war früher schon sein Zuhause. Als Kind stand er auf der Nordtribüne, feuerte das Team an und sammelte Autogramme. Sein Weg ist spannend, denn Treue spielte in seiner sportlichen Laufbahn eine große Rolle. Seitdem Polzin fünf Jahre alt war, spielte er nur für den Bramfelder SV – erst in der Jugend, dann bei den Herren. Wie man aufsteigt, weiß er, denn mit seinem Verein ging es in die Oberliga. Eine Zehenarthrose stoppte seine aktive Laufbahn im Alter von 21 Jahren. So kam er in der höchsten Spielklasse der Hansestadt auf nur einen Einsatz. Erst mit seinem Wechsel auf die Trainerbank ging es weg von der Ellernreihe. Sein jüngerer Bruder Robin (30) spielt noch dort.
Tim Walter raus - musste das sein?
Wie beim FC St. Pauli?
Geht der HSV möglicherweise den Weg des Stadtrivalen? Nach der Entlassung von Timo Schultz setzte dort der FC St. Pauli Fabian Hürzeler mit nur 29 Jahren auf den Chefsessel. Der beförderte Youngster-Coach schaffte den Klassenerhalt und steht aktuell mit fünf Punkten vor dem Relegationsplatz auf Platz eins in der 2. Bundesliga. Kann das Polzin auch?
Boldt hat es allen gezeigt
„Ich habe vor viereinhalb Jahren einen Vertrag unterschrieben, da hat mir kaum einer zugetraut, dass ich hier eine Saison überlebe. Das habe ich bewusst und aus Überzeugung gemacht, hier etwas bewegen zu können und auch ein Risiko einzugehen. Ich bin ein Typ, der gerne Herausforderungen annimmt und dabei eine Rolle als Vorstand und Führungsperson einnimmt, die Menschen die Möglichkeit gibt, sich weiterzuentwickeln und Dinge voranzutreiben. Da ist immer ein Risiko dabei. Wir sind mehrfach nicht aufgestiegen, das sind Fakten, die man einem Sportvorstand vorwerfen kann, das weiß ich. Zugleich haben wir eine Menge erarbeitet: von einer wirtschaftlichen Solidität über eine Euphorie bis hin zu einem Gemeinschaftsgefühl trotz aller Widerstände. Ich kämpfe und stehe für diese Dinge und werde dafür weiter vorangehen. Es hat mich dabei noch nie beschäftigt, ob meine persönliche Situation dadurch anders beleuchtet wird.“
Zu wild und zu unversichert
Er unterstrich, dass man „viele Freiheiten“ bei ihm bekommt. „Das hat das Trainer-Team bekommen und die Mannschaft auch. Ich bin nie derjenige, der dem Trainer reinredet “du musst heute mit der und der Taktik spielen“, sondern eher, wie kann Dinge reflektieren und unterstützen.“ Für ihn ist es gar nicht so viel, was fehlt. Zuhause war es ihm dann aber doch „deutlich zu wild gewesen und vielleicht mit viel zu viel Verunsicherung“.
Fehlende Lizenz ist kein Problem
Boldt gab klar zu verstehen, dass Polzin definitiv in der Zukunft eine Rolle spielen wird. Am Sonnabend sitzt der Interimstrainer beim Auswärtsspiel auf der Bank. Und das könnte sogar so bleiben, denn durch die Teilnahme am Lehrgang zur “Pro-Lizenz“ gilt ein Trainer bereits als Fußball-Lehrer. Das gleiche gilt für Loic Fave, der seit Montag als Co-Trainer der Zweitliga-Mannschaft fungiert. „Selbstverständlich haben wir uns erkundigt und deswegen gibt es hierzu keine Bedenken“, so der HSV-Sportchef.
„Diese Garantie wird es nie geben“
Er benötigt eine Aufstiegsgarantie, doch weiß: „Diese Garantie wird es nie geben und die wird es auch mit anderen Namen nicht geben.“ Damit erklärte der 42-Jährige die Entscheidung noch vor Weihnachten an Walter festzuhalten. Es steht allerdings noch nicht fest, wie es weitergeht. Dafür will man sich intern und extern unterhalten.
Aus der Kurve zum Cheftrainer
Als “ ausgebildeter Clever-Coach“ ist Polzin möglicherweise die Überraschung auf dem Posten. Für den 33-Jährigen war schon bei seinem Amtsantritt 2020 klar: „Ich glaube, es gibt nichts, was für mich besonderer sein kann, als für den HSV zu arbeiten.“ Die “ Cinderella“-Story im Volkspark? Bei Polzin würden die Fans sicherlich sagen: „Einer von uns!“