Hamburg – Erst vor wenigen Wochen gab es eine Mammut-Mitgliederversammlung beim FC St. Pauli, in der es hoch her ging. Viel Kritik musste der Vorstand in den über acht Stunden Sitzung einstecken, da man kurz zuvor den beliebten Cheftrainer Timo Schultz entließ. Inzwischen ist Gras bei den Braun-Weißen darüber gewachsen und nun könnte es im Congress Center Hamburg (CCH) erneut eine turbulente Veranstaltung geben, denn der Stadtrivale Hamburger SV lädt um 11 Uhr seine Mitglieder ein. Dabei geht es auch um die Zukunft des Präsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden Marcell Jansen. Es gibt zwei Abwahlanträge gegen den früheren Nationalspieler.
Zu viele Eigentore?
In den vergangenen Monaten stand der 37-jährige Unternehmer immer wieder in der Schussline der Öffentlichkeit. Dabei fiel ihm unter anderem die Nähe zum Ex-Finanzvorstand Thomas Wüstefeld auf die Füße. Entscheidungsfreudig war Jansen dazu ebenfalls nicht. Führungsschwäche wurde ihm nachgesagt. Das lange hinziehen in der Trainerfrage brachte den Volkspark fast zur Explosion und die in Aussicht gestellte Finanzspritze von Milliardär Klaus-Michael Kühne tat ihr Übriges. Jansen stand unter Druck und tut es am Sonnabend noch mehr.
„Cello“ ist HSVer!
Es dürfte das schwerste Spiel seiner Kariere werden, in dem er um seine Zukunft kämpft. 152 Bundesliga-Spiele bestritt er für die Profi-Rothosen, eines für die Reserve und 57 bei der Oberliga-Mannschaft. Man kann durchaus sagen: „Cello“ ist HSVer! Erfolgreich war er zudem im Ligapokal (2007) und DFB-Pokal (2008) mit dem FC Bayern München. Dort holte er die Trophäen, genauso wie im gleichen Jahr die Deutsche Meisterschaft. Mit der Nationalmannschaft erreichte er 2006 und 2010 den dritten Platz bei Weltmeisterschaften und dazwischen wurde der gebürtige Mönchengladbacher Vize-Europameister (2008).
Steile Karriere im Volkspark
Am 6. Februar 2018 wurde Jansen in den Aufsichtsrat der HSV Fußball AG gewählt. Knapp ein Jahr später (19.1.2019) wählten ihn die Mitglieder des Hamburger SV e.V. zu ihrem Präsidenten. Ein weiteres Jahr darauf (28.3.2020) übernahm der Wahl-Hamburger im Zuge der Freistellung des Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann und des Rücktritts des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Max-Arnold Köttgen den Vorsitzend des Aufsichtsrates nach Wahl.
Zweidrittelmehrheit erforderlich
Nun folgt der Tag der Wahrheit und Jansen könnte von den Mitgliedern zu Fall gebracht werden. Eine Tendenz ist im Vorfeld nicht auszumachen und es bedarf eine Zweidrittelmehrheit (66,7 Prozent), die den HSV-Boss seine Ämter kosten würde.
„Dann bin ich nicht mehr der richtige Mann“
In der „Sport Bild“ gab Jansen zu verstehen, dass er schon bei 50 Prozent gegen ihn, sogar zurücktreten würde: „Dann bin ich nicht mehr der richtige Mann für diesen Posten und ziehe die Konsequenzen“, sagte er. Allerdings brennt er für den HSV und meint: „Mein Wunsch ist es, dieses Amt weiter mit aller Leidenschaft auszuüben. Aber das mache ich nur mit dem entsprechenden Rückhalt. Denn der HSV lebt von seinen Mitgliedern und den Fans.“
Wer würde nach Jansen kommen?
Er will keine Schlammschlacht, kann die Kritik an seiner Person aber verstehen. Kommt es dazu, dass Jansen entweder abgewählt wird oder selbst zurücktritt, würden seine Stellvertreter Bernd Wehmeyer und Michael Papenfuß kommissarisch die Geschäfte des HSV e.V. führen. Dann müsste innerhalb von drei Monaten eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen werden.
Heiße Diskussionen erwartet
Der Tagesordnungspunkt 19 ist entscheidend. Es ist der vorletzte, denn danach gibt es nur noch Verschiedenes. Till Hischemöller (Rechtsanwalt aus Hamburg und seit 2013 HSV-Mitglied) und Ulrich Becker reichten die beiden Abwahlanträge ein. Während in Hischemöllers schon im Vorfeld eine vierseitige Begründung abgab, hielt sich Becker sehr kurz und kündigte ein ausführliches Statement dazu auf der Mitgliederversammlung an.
Aufstieg und Euro
Der HSV steht wieder einmal vor der Zerreißprobe, im wieder einmal „wichtigsten“ Moment der Saison, in der man nach fünf Jahren 2. Bundesliga zurück ins Oberhaus möchte. Die Europameisterschaft 2024 wird in Hamburg ein Spielort finden. Es bedarf einer starken Führung in der Chefetage. Jansen muss beweisen, dass er der richtige dafür ist.
Bildquellen
- Jansen: Lobeca/Ralf Homburg
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