Das denkwürdige WM-Halbfinale am 8. Juli 2014. Deutschland gegen Brasilien. 7:1. Ein Ergebnis für die Ewigkeit. Beim Blick
zurück sind es nicht die Tore, die in der Erinnerung die große Rolle spielen, es sind die Menschen, die hemmungslos weinten.
Sie lagen sich in den Armen und wollten sich trösten, wohlwissentlich, dass es für dieses Ereignis keinen Trost geben
kann. Sie wollten den WM-Titel im eigenen Land feiern und wurden auf so entsetzliche Art vorgeführt, demontiert. Wir
Journalisten, aber auch viele deutsche Fans im Stadion hatten das Gespür für den Moment, Mitgefühl war gefragt. Wenn um
dich herum alle heulen, ist es besser die Freude zu verbergen. Die Brasilianer wollten nach den Sternen greifen, aber am Ende war Deutschland im siebten Himmel.
Und jetzt? Wieder Tränen. Völlig fassungslos stand Neymar nach dem Elfmeterkrimi gegen die Kroaten im Mittelkreis und schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf. Der vermeintliche Siegtorschütze heulte wie ein Häufchen Elend. Mitspieler nahmen in die Arme und versuchten Trost zu spenden, doch der Superstar war untröstlich, wie alle in Gelb nach den Elfmeter-Fehlschüssen. Neymar war erst als fünfter Elfmeterschütze vorgesehen, doch dazu kam es nicht mehr. Neben mir auf den Rängen schien eine ganze Nation in Trauner vereint. Alle flennten hemmungslos. Wie damals in Belo Horizonte.
Nur wenige hundert Meter entfernt, feierte die weitaus kleinere Kolonie der Kroaten ihren Sieg, den sie sich redlich verdient hatten. Wer Brasilien besiegt, steht zu Recht im Halbfinale. Doch die Fußballnacht in Doha war mit Brasiliens Niederlage noch nicht beendet. Weil ich ahnte, dass in der Champions-Sportbar viele Argentinier und Holländer ohne Stadionkarte das Abendspiel verfolgen, wollte ich mir dieses Spektakel nicht entgehen lassen. Es war ein Irrtum: Kaum Holländer, dafür viele Brasilianer, die mit Caipirinha ihre Trauer zu lindern versuchten und inständig hofften, dass die Holländer – wie damals die Deutschen im Endspiel in Rio – ihre Schmach mit einem Sieg gegen den Erzfeind Argentinien wenigstens mindern. Vergeblich.
Der 9. Dezember 2022 wird als grausamer Tag in die Fußball-Geschichte Brasiliens eingehen. Als ein Tag mit zwei bitteren Niederlagen.