Ist das der neue Anspruch beim HSV? „Vielleicht haben wir uns in diesen Partien auch nicht richtig gewehrt“

Ein Kommentar von Chefredakteur Roland Kenzo

Jonas Boldt (HSV-Sportvorstand). Foto: Lobeca/Marcus Kaben

Die Enttäuschung nach dem verpassten Aufstieg für den Hamburger SV in die Bundesliga ist riesengroß. Die Rothosen nutzten ihre Mini-Chance auf einen möglichen Endspieltag gegen Braunschweig beim 2:3 in Osnabrück am vergangenen Sonntag nicht. Schuldige werden, wie immer gesucht und das auch zurecht. Denn zum dritten Mal hat es der frühere „Dino“, der auf dem besten Weg ist, einer in der 2. Liga zu werden, nicht geschafft.

„Wir haben bis zum Schluss an unsere Chance geglaubt“

Jonas Boldt sagte danach: „Die Enttäuschung nach diesem Spiel ist groß. Wir haben bis zum Schluss an unsere Chance geglaubt, aber diese 90 Minuten standen ein bisschen sinnbildlich für die gesamte Saison: Wir haben uns viele Chancen herausgespielt, aber wieder einmal zu einfach die Gegentore hergeschenkt und insgesamt gegen die Teams von unten zu viele Punkte liegen gelassen.“

Armutszeugnis vom Sportvorstand

Für Verwunderung sorgte vor allem der nächste Satz des Sportvorstandes: „Vielleicht haben wir uns in diesen Partien auch nicht richtig gewehrt, zu diesem Schluss muss man kommen, wenn man die Auswärtsspiele in Sandhausen, in Würzburg und auch heute in Osnabrück sieht. Das gilt es zu analysieren. Denn lange Zeit sah unsere Entwicklung vielversprechend aus, gegen die Mannschaften von oben haben wir auch viele Punkte eingefahren und waren auf einem guten Weg, aber dann haben wir uns auf diesem Weg ein Stück weit selbst verloren. Vielleicht haben wir gedacht, dass die Dinge von allein laufen, aber wir müssen uns alles hart erarbeiten. Das hat schlussendlich nicht geklappt, obwohl wir uns so viel vorgenommen haben, insofern ist die Enttäuschung sehr groß.“

Bitte was?

Das erinnert an die letzte Pressekonferenz des geschassten Cheftrainers Daniel Thioune, der sich nach der Heimniederlage gegen den Karlsruher SC dabei zwar ehrlich, aber ohne Glauben präsentierte. Kurze Zeit später wurde er freigestellt. Boldt kann nicht ernsthaft den Anspruch eines Aufstiegskandidaten mit drei Clubs gleichsetzen, die wie die bereits abgestiegenen Würzburger Kickers oder wie die der anderen beiden, die am letzten Spieltag noch um den Klassenerhalt (!!) kämpfen. Ist das der Anspruch beim HSV, dass man sich gegen solche Teams „wehren muss“? Man erwartet in Hamburg, dass man solche Gegner auseinanderspielt… Ach, das erwartet man überhaupt von einer Spitzenmannschaft!

Trainersuche stockt

Die Saison ist fast vorbei und die Planungen für die neue Spielzeit sind bei vielen Clubs in vollem Gange. Einen neuen Cheftrainer hat im Volkspark noch nicht vorgestellt. Dazu sagte Boldt bei „Sky“, dass „zum Saisonbeginn definitiv ein neuer Trainer da ist“. Mit anderen Worten: Die Mannschaft ist schon da und der Coach bekommt das „Material“, womit er möglicherweise nicht arbeiten kann – oder die Mannschaft nicht mit dem neuen Cheftrainer? Bei solchen Aussagen muss man sich doch schon sehr wundern.

Boldt und Mutzel… die Richtigen?

Der Sportvorstand muss am Ende sehr viel verantworten: Kader, Trainer, Ergebnisse. Vor zwei Jahren kam Boldt zum HSV. Viele Vorschusslorbeeren hatte der 39-Jährige im Gepäck. Bei Bayer Leverkusen lernte er und in Hamburg wollte er die Entwicklung vorantreiben. Am Ende steht vielleicht sogar nur Platz fünf, nach einmal Rang vier in der Vorsaison und die Erkenntnis, dass „seiner“ Mannschaft die Puste ausgeht – und zwar immer. Dabei gab es immer wieder Beschönigungen, die nach schlechten Leistungen den Spielern die Sitzecke eher polsterte. Das gleiche gilt für Sportdirektor Michael Mutzel, der zu oft mitteilte, dass man noch genügend Zeit haben würde. Ganz besonders klingt einem der Satz nach dem torlosen Unentschieden im Heimspiel gegen Greuther Fürth im Ohr: „Die zwei verlorenen Punkte tun uns nicht weh.“ Ein gewagter Satz, der ihm nun auch auf die Füße fällt. Nach dem 2:3 in Würzburg hieß es, dass man „die Fehler nicht noch einmal machen würde“. Es folgte die Pleite gegen den Stadtrivalen und das 3:3 in Hannover – nach einer 3:0-Führung! Diese wird von vielen als Knackpunkt gesehen. Das war allerdings eher erste der Sargnagel. Nach außen hin wirken die Analysen immer profi-like, doch intern scheint das nicht anzukommen. Was stimmt also in der Kommunikation zwischen Sportvorstand und Sportdirektor auf der einen Seite und der Mannschaft auf der anderen nicht?

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Führung? Welche Führung?

Der Krach hinter den Kulissen, im Vorstand mit Bernd Hoffmann, im Aufsichtsrat oder Präsidium tut sein Übriges. Eine klare Führung oder einen Mann an der Front gibt es nicht beim Hamburger SV. Einer, der mal den Mund aufmacht. Marcell Jansen hat sich schon lange nicht mehr zu Wort gemeldet. Dabei hätte doch gerade in den Krisen ein Mann mit Gewicht für klare Ansagen sorgen können. Jeder kocht im Volkspark anscheinend sein eigenes Süppchen.

Was möchtest du werden?

Das ist auch bei den Spielern zu vermuten, die sich zum Teil die Berufsfrage stellen oder zumindest den eigenen Anspruch einmal durchleuchten sollten. Nimmt man die gesamte Saison, gibt es vermutlich einige, die in der 2. Liga etwas überfordert wirkten – mindestens aber nicht dem Druck beim HSV gewachsen sind. Und von der Bundesliga brauchen wir gar nicht reden. Bis auf Aaron Hunt (Vertrag bis zum Sommer) und Simon Terodde (wechselt nach Schalke) haben alle anderen noch mindestens bis zum 30. Juni 2022 einen Kontrakt. Doch zu viele von ihnen haben bewiesen, dass sie entweder ihre Einstellung oder den Verein wechseln sollten.

Kicker-Abrechnung

Die hochangepriesenen Neuzugänge Toni Leistner und Klaus Gjasula sind seit einem Jahr dabei. Die Verletzungszeiten einmal ausgeklammert kamen sie aber nicht an ein Niveau von Stephan Ambrosius oder Josha Vagnoman heran. Auch Sven Ulreich hatte einige Patzer dabei, die Punkte kosteten. Und dann war da noch Bobby Wood, dem Thioune viel zu lange festhielt, doch das unrühmliche Ende ist bekannt. Die Partie in Osnabrück hat dafür viel durchblicken lassen. Charakter war nur sehr wenigen Kickern anzusehen. Man hat es nicht geschafft gegen den Tabellenvorletzten mitzuhalten. Das ist an Peinlichkeit einfach nicht zu überbieten, wobei man das schon nach Würzburg oder gegen die aus der Quarantäne-kommenden Sandhäuser dachte. „Hätte, wenn und aber ist am Ende nur Gelaber“, sagte Horst Hrubesch noch vor der Begegnung am vergangenen Sonntag. Seine Marschroute war, „von Beginn an das Kommando zu übernehmen“. Die Mannschaft hat ihn im Stich gelassen, einfach so. Zumindest sollte man im Volkspark darüber nachdenken, ob die stets kommunizierte Entwicklung einen Sinn macht, wenn die Namen Gideon Jung, Jan Gyamarah, Jeremy Dudziak sowie auf jeden Fall die bereits genannten Ausfall-Kandidaten Leistner und Gjasula und dazu Kapitän Tim Leibold mit ihrer derzeitigen Einstellung dabei überhaupt hilfreich sind. Vielleicht ist es ja ein Anfang, dass Hrubesch einen davon schon mal suspendierte. Endlich mal einer, der durchgreift und „Stars“ oder die, die sich dafür halten, rausschmeißt! Bravo!

Licht am Ende des Tunnels

Aber es gibt sie, die die möglicherweise durchs Feuer gehen könnten – für den HSV – und die teilweise einen Anstupser brauchen. Dazu zählen womöglich Moritz Heyer, Amadou Onana, David Kinsombi, Sonny Kittel, Bakery Jatta, Manuel Wintzheimer, Robin Meißner sowie Ambrosius und Vagnoman (sollte man letzteren überhaupt halten können) und einige andere. Alle sind noch nicht perfekt und brauchen sicher viel Zuspruch und Streicheleinheiten, doch sie könnten das Gerüst des neuen HSV sein. Und auch den Oldie Hunt darf man noch dazuzählen, der beispielsweise in vielen wichtigen Momenten die Mannschaft mitreißen kann.

Wiedergutmachung gegen Braunschweig?

Einen versöhnlichen Saisonabschluss kann es nicht mehr geben und eine Wiedergutmachung am kommenden Sonntag gegen Eintracht Braunschweig können sich alle schenken, denn es ist vorbei. Der HSV hat es zum dritten Mal geschafft nach guten Hinrunden wie in den Jahren zuvor und vor fünf Monaten nochmal am Ende mit leeren Händen dazustehen und es zu „verkacken“! Danke für nichts!

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