Ex-HSV-Trainer Tim Walter (links). Im Hintergrund (v.l.): Philipp Langer (Pressesprecher), Jonas Boldt (Sportvorstand) und Claus Costa (Direktor Profifußball). Foto: Lobeca/Henning Rohlfs

Hamburg – Nach 956 Tagen ist die Ära Tim Walter beim Hamburger SV Geschichte. In 103 Spielen kam der 48-Jährige auf durchschnittlich 1,82 Punkte. Kein schlechter Schnitt für einen Trainer beim früheren Bundesliga-Dino, doch nicht gut genug für einen Wiederaufstieg ins deutsche Fußball-Oberhaus. Nach zwei verlorenen Relegationsspielen war für den gebürtigen Badener im Volkspark Schluss. Noch am vergangenen Wochenende war er für einen Kurztrip zu seiner Familie nach München gereist. Nach seiner Rückkehr wurde der Chefcoach der Rothosen am Montag freigestellt, ebenso seine Assistenten Julian Hübner und Filip Tapalovic.

Kredit aufgebraucht

Eine starke Tendenz zur Entlassung gab es schon nach der Heim-Pleite am Freitag gegen Hannover 96. Für die Hamburger war es vor eigenem Publikum die dritte Niederlage in Folge. Die Fans pfiffen die Mannschaft schon zur Pause aus, nach Schlusspfiff noch stärker. Walter wirkte auf der anschließenden Pressekonferenz leer, hatte keine wirklichen Argumente mehr für sich und sein System. Dieses wurde schon viel länger angeprangert. Zu offensiv und zu wenig Absicherung. Kurz vor Weihnachten gab es ein Krisen-Gespräch. Der Trainer rettete sich über die Winterpause, sollte etwas ändern. Das tat er: Auswärts wurde gewonnen, doch zuhause gab es keinen Punkt mehr. Seinen Ankündigungen an den Fehlern zu arbeiten, wurde nicht mehr vertraut. Sein Kredit war aufgebraucht.  

Neue HSV-DNA

Dem HSV gab Walter eine neue DNA, sorgte für “Hurra-Fußball“. Zu Beginn seiner Amtszeit klappte das noch nicht so gut, am Ende sprang jedoch Rang drei heraus und ein Hinspiel-Sieg in der Relegation bei Hertha BSC. Das Rückspiel verlor man. Die “Aktie Walter“ stieg in der Folge-Saison. Die schlechteste Platzierung war Rang acht und lange sah es nach mindestens der Vizemeisterschaft in der 2. Bundesliga aus, doch auch hier reichte es nur für den dritten Platz. Zwei Tore in der langen Nachspielzeit des 1. FC Heidenheim bei Jahn Regensburg “killte“ den Hamburger Jubel nach dessen Sieg beim SV Sandhausen. Die Relegation gegen den VfB Stuttgart war mit zwei klaren Niederlagen ein Desaster. Ein neuer Anlauf wurde im vergangenen Sommer genommen. Auch hier war der bisherige Saisonverlauf im Grundsatz gut. Schlechtester Tabellenstand war der vierte Platz. Trotzdem musste der Trainer nun sein Büro räumen.

Tim Walter raus - musste das sein?

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„Wir haben Club, Mannschaft und Fans zusammengeschweißt“

Jonas Boldt trat am Montagnachmittag vor die Medien und beantwortete Fragen. Dabei wirkte der Sportvorstand ruhig wie immer und erklärte seine Beweggründe. „Es ist eine Entscheidung, die mir definitiv nicht leichtgefallen ist. Wir haben hier in den letzten zweieinhalb Jahren gemeinsam etwas aufgebaut, eine neue Euphorie in der Stadt und bei den Menschen entfacht. Wir haben Club, Mannschaft und Fans zusammengeschweißt. In der heutigen Zeit, wo sich Fußball und Publikum eher auseinanderdividieren, ist das nicht normal. Es gilt, Tim und seinen Co-Trainern dafür zu danken. Seine Aufgaben sind weit über den üblichen Cheftrainer-Tätigkeiten hinausgegangen. Er hat diesen Verein mit Haut und Haaren gelebt. Dennoch haben wir die Gefahr gesehen, dass dieser angesprochene Weg einreißen und aus dem Ruder laufen wird. Wir haben uns zum Handeln gezwungen gesehen, da wir eine allgemeine Verunsicherung auf dem Platz, auf den Rängen und im Umfeld wahrgenommen haben. Die Überzeugung war nicht mehr da, dass wir unsere Ziele erreichen und unseren Weg weitergehen. Und das ist das übergeordnete Ziel, bei dem es um die Sache und nicht Personen geht.“

Tim Walter verlor mit dem HSV zwei Relegationen zur Bundesliga. Foto: Lobeca/Norbert Gettschat

Sachliches Statement zum Abschied

Niemand fragte danach, wie Walter die Nachricht aufnahm, wie der Ablauf der Trennung am Morgen war. Das spricht für das, was der Ex-Trainer sich in Hamburg ebenfalls aufbaute: Einen relativ schlechten Draht zu Journalisten. Die Pressekonferenzen waren meist kurz, nicht oft wurde ausführlich geantwortet. Viele Wiederholungen, wenig Inhalt. Nur in der Vereinsmitteilung gab es ein Statement von ihm: „Ich hätte gerne weiter dazu beigetragen, gemeinsam unser Saisonziel zu erreichen. Ich bedanke mich beim HSV, bei der Geschäftsstelle und bei den außergewöhnlichen Fans für mehr als zweieinhalb Jahre tolle Zusammenarbeit. Ich wünsche der Mannschaft und dem Verein maximalen Erfolg im weiteren Saisonverlauf.“

Kein „Wir bleiben bei uns“ mehr

Ein Nachfolger sollte weder die Sätze „Wir bleiben bei uns“ oder „Wir sind der HSV“ nutzen. Das hatte Walter insbesondere in seiner zweiten Saison als Marke gesetzt. In keiner Pressekonferenz fehlte einer dieser Sprüche. Arroganz wurde ihm oft nachgesagt, doch tat man dem 48-Jährigen damit nicht etwas Unrecht? War es vielleicht nur ein Selbstschutz? Oder eher die Überspielung einer Einsilbigkeit auf dem Platz? Kritik wurde nicht angenommen, zumindest nicht aus den Medien. Für Walter gab es nur eine Richtung: Die Flucht nach vorne, ohne Plan B.

Polzin übernimmt (vorläufig)

Sein Co-Trainer Merlin Polzin sitzt mindestens beim bevorstehenden Auswärtsspiel beim F.C. Hansa Rostock am Sonnabend auf der Bank – als Interims-Cheftrainer. Es könnte sogar mit dem 33-Jährigen weitergehen. Boldt schloss das zumindest nicht aus und sagte: „Wir werden jetzt keinen 180-Grad-Wechsel vollziehen. Deshalb haben wir auch die Entscheidung mit Merlin Polzin getroffen. Er ist seit dreieinhalb Jahren dabei und hat eine super Entwicklung genommen. Er kennt die Mannschaft sehr gut und sie ihn auch. Es sind ein paar Stellschrauben zu drehen, die wir in der Winterpause angesprochen und an denen wir bereits im Trainingslager gearbeitet haben. Wir haben bei den Auswärtsspielen auf Schalke und Berlin gezeigt, dass die Themen, die wir anpacken müssen, gar nicht so groß sind. Leider haben wir in den Heimspielen dafür gesorgt, dass das alles etwas über Bord geworfen wurde. Diese Berg- und Talfahrt tut uns nicht gut. Deshalb ist es genau der Weg, jetzt nicht alles umzukrempeln, sondern das Potential wieder auf die Straße zu bringen. Dabei sind Ruhe und Stabilität wichtig. Wir werden uns in Ruhe entscheiden, in welcher Konstellation es weitergeht. Fest steht: Merlin Polzin bekommt aus voller Überzeugung die Chance und wird – egal in welcher Konstellation – hierbei definitiv eine Rolle spielen. Er bringt viel Inhalt mit und hat in den letzten Jahren viel mitgestaltet. Wir haben in ihm ein großes Trainertalent, das sehr viel mitbringt.“

Wieder eine spannende Zeit im Volkspark

Wie es nach dem Rostock-Spiel weitergeht, ist noch nicht klar. Gewinnt das Polzin-Team, könnte es vielleicht im Heimspiel für den gebürtigen Hamburger auf der Cheftrainer-Position weitergehen. Danach kommt die SV Elversberg in den Volkspark. Eines steht allerdings jetzt schon fest: Die nächsten Tage und Wochen werden im Volkspark wieder spannend.

Vom Co- zum Interims-Trainer: Merlin Polzin (Hamburger SV). Foto: Lobeca/Felix Schlikis
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