Mein Vorbild. Oder lieber doch nicht?

WM-Kolumne „Mein Ka-Tag“ von Wolfgang Stephan

Ich lernte ihn einst in Südafrika kennen. Damals, 2010, er war 72 Jahre alt und agil wie ein Fünfzigjähriger, von mir aus auch fit, wie ein Turnschuh. Hartmut Scherzer. Sein Auftreten, seine Art, sein Wissen, seine Schreibe, sein Alter, seine Fitness – ich beschloss, ihn mir als journalistisches Vorbild zu nehmen.

Vier Jahre später sind wir mehrmals gemeinsam durch Brasilien geflogen, es war immer das gleiche Ritual beim Flug, ich fragte, Hartmut erzählte. Dabei ging es meist nicht um Fußball. Der Kollege hat alle drei Jahrhundert-Boxkämpfe von Muhammad Ali in New York, Kinshasa und Manila live miterlebt, war bei 33 Tour de France-Rennen dabei und hat von 21 Olympischen Spielen berichtet. Eine Sportreporter-Legende, eine Lichtgestalt des deutschen Sportjournalismus. Es mag sich antiquiert anhören, wenn ich von einem der alten Garde schreibe. Aber er ist halt einer, dem es nie nur um Tore, Siege oder Rekorde ging, was in seinem Buch „Welt-Sport“ auf über 700 Seiten nachzulesen ist. (Ein gutes Weihnachtsgeschenk).

Online ist so einer nicht zu gebrauchen, eine Feststellung, die er als eine besondere Wertschätzung sieht.

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Scherzer schreibt Hintergründe, über Revolten, Aufstände, Rassismus, Apartheid. Seine Helden sind auch die Kämpfer gegen Krankheiten, wie Lance Armstrong, der des Dopings überführte Radsportler, der ihn wegen seines eisernen Überlebenskampfes gegen den Krebs fasziniert. „Dafür bewundere ich ihn“, schreibt Scherzer, der 1984 in Los Angeles Muhammad Ali zu Hause besuchen durfte, und einer der Ersten war, der spürte, dass mit Ali was nicht stimmte – Parkinson. „Den Zerfall des Champs zu erleben, gehört zu meinen erschütterndsten Erlebnissen.“

Eine Statistik fehlt bisher in dieser Aufzählung: Seine Fußball-Weltmeisterschaften. Hartmut absolviert gerade sein 16. Turnier seit 1962 in Chile ist er ununterbrochen dabei. Mit damals 15 deutschen Journalisten. In Katar waren es 150, in Brasilien 200, jetzt sind es nach dem Abflug der Deutschen noch etwa 30 deutsche Kollegen. Hartmut Scherzer bleibt auch bis zum Finale. Wir trafen uns am Dienstag im Medienzentrum. „Hartmut, Du bist ja auch noch da“, stellte ich freudig fest. Seine lapidare Antwort: „Warum nicht, das ist schließlich eine Weltmeisterschaft und keine Deutsche Meisterschaft“, sagte der Mann, der mit 84 Jahren immer noch mit wachem Blick auf der Pressetribüne sitzt. 84.

Das mit dem Vorbild überlege ich mir nochmal.

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