Tag zwei nach dem Abflug der Deutschen. Es fühlt sich an wie ein Neuanfang, sich nicht mehr mit den Unzulänglichkeiten beim
DFB beschäftigen zu müssen. Zumal ich am Wochenende ein Erlebnis der besonderen Art in Doha erleben durfte: Gut zwei Wochen lang waren meine einzigen Gesprächspartner (außer den Taxifahrern) deutsche Sportjournalisten.
Und jetzt traf ich eine junge, alte Bekannte aus dem Norden: Kim, die mit ihrem Mann David bei einem befreundeten Ehepaar zum Deutschland-Spiel eingeladen waren. Zwei Stunden plaudern, vor allem über Katar und die Deutschen. Wir trafen uns auf dem Souq Waqif. Nirgendwo sonst erinnert das moderne Doha so sehr an den alten Orient wie auf diesem großen Markt, der alles zu bieten hat, was Arabien ausmacht.
Der seit sieben Jahren in Katar arbeitende Freund zeigte sich beim arabischen Kaffee entsetzt über das Bild, das in Deutschland über Katar herrsche. Er ist bei einem internationalen Konzern angestellt und müsse sich pausenlos erklären, warum die Deutschen die katarischen Beteiligungen bei VW, Siemens, RWE oder der Deutschen Bank seit Jahren für ihr Wohlergehen nutzen und jetzt das LNG-Gas aus Katar gerne nehmen – wenngleich mit gespielt rümpfender Nase.
Warum die Deutschen ihre moralischen Maßstäbe an westlichen Standards festmachen und nicht an denen der arabischen Nachbarländer, von Ägypten bis Dubai? In keinem dieser gern frequentierten Urlaubs-Länder der Deutschen gebe es bessere Arbeitsrechte und doch zeigten die Deutschen mit Entrüstung auf Katar, auch weil da angeblich die Frauenrechte mit Füßen getreten werden. Seine katarischen Kolleginnen könnten über derlei Unsinn nur den Kopf schütteln. Mit offenem Haar.
In dem Golfstaat studieren inzwischen mehr Frauen als Männer, was Hessa al Jaber, zu verdanken sei. Die Informatikerin (Mutter zweier Kinder) war Ministerin für Informations- und Kommunikationstechnologie und gilt als Pionierin für Gleichberechtigung und Gründerin der Universität.
Schreib doch mal, dass Katar vor fünf Jahren eine Frau in den VW-Aufsichtsrat entsandt hatte, was dem deutschen Konzern die Frauenquote rettete, forderte er mich auf. Wenngleich er glaubt, dass das in Deutschland niemand lesen wolle. Ich verspreche es ihm trotzdem. Hessa al Jaber aus dem Emirat Katar sitzt seit 2016 im VW-Aufsichtsrat.