ar-Rayyan – Deutschland hat sein Auftaktspiel bei der Weltmeisterschaft gegen Japan mit 1:2 (1:0) verloren. Zum wiederholten Male wurden dem deutschen Nationalteam in der Hintermannschaft die Grenzen aufgezeigt. In der Offensive war keine Durchschlagskraft zu spüren. Ein Sieg gegen Spanien ist nun fast Pflicht. „La Furia Roja“ hat mit dem 7:0 gegen Costa Rica eine Duftmarke gesetzt und gibt dem DFB-Team wenig Optimismus, um sich rehabilitieren zu können.
Thomas Möller, ehemaliger Zweitligaspieler (unter anderem für VfB Lübeck und Eintracht Braunschweig), Regionalligatrainer und aktuell Sportlicher Leiter des Heider SV, hat HL-SPORTS zur Pleite des Flick-Teams ein Interview gegeben:
HL-SPORTS: Hallo Thomas, bist du enttäuscht von dem Auftritt der Deutschen und woran hat es deiner Meinung nach gelegen, die Führung nicht über die Zeit zu bringen?
Thomas Möller: „Wir sind natürlich alle enttäuscht und keiner hat sich das so gewünscht. Wir alle hatten uns einen guten Start gewünscht, das ist leider nicht passiert. Jetzt werden viele sagen, dass Deutschland eine Turniermannschaft ist, dafür fehlt mir aber die Fantasie und ich bin auch gerade zu sehr enttäuscht.“
Ab der Mitte der zweiten Halbzeit gelang es den deutschen Spielern gar nicht mehr, vernünftig Druck oder Gefahr auszustrahlen. Nach der guten Doppelchance von Serge Gnabry und dem Pfostenschuss von Ilkay Gündogan gab es keine wirklich guten Szenen mehr im japanischen Strafraum. Es war im Grunde zu spüren, dass es nochmal hinten anbrennen könnte, wenn das 2:0 nicht gelingen würde – und genauso kam es.
HL-SPORTS: Nach dem 1:1 hatte man das Gefühl, dass Japan es mehr wollte und haben sich dann mit dem zweiten Tor belohnt. Was macht man da als Trainer?
Thomas Möller: „Nach dem 1:1 haben die Japaner gut zugestellt und eine gute Arbeit geleistet. Da kann der Trainer umstellen, da kann man machen, was man will, wenn einem schlussendlich die Leidenschaft fehlt, ist es ganz schwierig. Antonio Rüdiger hat oftmals Leidenschaft gezeigt, aber viele haben sich auch versteckt, da kam nichts.“
HL-SPORTS: Wie hast du die Startaufstellung gesehen? Hat Hansi Flick hier auf die richtigen Kräfte gesetzt?
Thomas Möller: „Mal liegst du richtig und mal liegst du falsch. Jetzt haben wir wieder 80 Millionen Trainer, die etwas verändert hätten. Bei individuellen Patzern, wie man es häufig bei Nico Schlotterbeck gesehen hat, da kann man als Trainer von außen nichts machen.“
Neben der schwachen Leistung von Schlotterbeck, waren ebenfalls einige Patzer von Niklas Süle zu sehen. Der eigentlich ungefährliche Freistoß in der eigenen Hälfte der Japaner führte zum 1:2. In dem Moment hat Süle komplett geschlafen und vergaß, für die Abseitsfalle herauszurücken. Schlotterbeck ging danach nicht energisch in den Zweikampf und vollendete die schwache defensive Sequenz.
HL-SPORTS: Woran lag es, dass man es nicht geschafft hat, genug Tempo und Spielidee auf den Platz zu bringen?
Thomas Möller: „Am Tempo lag es, an zu wenig Spielideen, aber auch an der Effektivität. Wir sind fahrlässig mit den Chancen umgegangen, aber auch die Japaner hatten noch einiges mehr an Chancen, die Neuer gut parieren konnte. Es hat bei allen heute viel gefehlt.“
Neben den Genannten waren auch Gündogan, Joshua Kimmich oder auch der eingewechselte Jonas Hofmann gar nicht im Spiel. Gündogan verursachte mit einem leichten Fehler fast das 0:1 nach nicht einmal zehn Minuten, hätte Daizen Maeda nicht einen Schritt im Abseits gestanden.
HL-SPORTS: Havertz war gar nicht im Spiel. Wie sollte man den Sturm anders besetzen oder was tun, um den Stürmer mehr ins Spiel zu bekommen?
Thomas Möller: „Ja, Havertz war auch nur Mitläufer. Er war überfordert. Die Stürmerposition sollte im nächsten Spiel anders besetzt werden. Da hat Hansi Flick einiges zu tun.“
Überraschend war die Besetzung im Sturmzentrum allemal. Kai Havertz ist als vorderster Spieler nicht zum ersten Mal komplett blass geblieben. Niclas Füllkrug oder Youssoufa Moukoko wären für wohl die bessere Wahl gewesen. Nach dem Spiel ist das leichter gesagt, aber Havertz ist im ganzen Spiel am ehesten durch Fouls oder Abseitsstellungen aufgefallen.
HL-SPORTS: Heute Abend spielt noch Kanada mit Derek Cornelius. Wie sehr freut es dich, ihn bei der WM zu sehen. Du hast ihn nach seiner Zeit in Lübeck zum VfR Neumünster geholt und dort wurde er vom Stürmer zum Innenverteidiger. Was hast du dir dabei gedacht und wie siehst du seine Entwicklung?
Thomas Möller: „Das freut mich natürlich sehr. Ich drücke ihm die Daumen und würde mich freuen, wenn er zu Einsatzzeit kommt. Seine Entwicklung war super. Von Neumünster nach Serbien, dann in die MLS und aktuell Stammspieler in Griechenland. Ich habe ihn früher zum Innenverteidiger umgeschult, da mir ein wenig die Geschwindigkeit für einen Topstürmer fehlte. Bei Carsten Linke war das genauso. Der musste in der Innenverteidigung aushelfen und wurde dadurch zu einem der besten Zweitligaverteidiger und auch bei Cornelius war das wohl nicht die schlechteste Entscheidung, wie man sieht.“
HL-SPORTS: Noch zum Abschluss eine Frage zu „Küstenkicker“, deinem eigenen Modelabel. Wie kam es dazu und was möchtest du damit aussagen? Dein guter Freund Ansgar Brinkmann hatte sogar schon einen Hoodie an. Wie kam es dazu?
Thomas Möller: „In der Coronazeit habe ich mir einige Gedanken gemacht, was man außerhalb des Fußballs noch so machen kann. Hoodies und Bekleidung waren schon immer meine Leidenschaft und für das Logo habe ich mit einem sehr guten Designer aus Lübeck zusammengearbeitet. Ansgar hat den Hoodie dann in der Europa League getragen mit Frankfurt und den Stadionkoordinaten darauf. Wir kommen im Moment gar nicht hinterher, denn das Ganze ist zeitaufwendig, weil die Hoodies auch individuell gemacht werden.“
HL-SPORTS: Allerletzte Frage, nochmal zur WM: Wie weit kommt das deutsche Team?
Thomas Möller: „Im Moment fehlt mir die Fantasie, dass Deutschland noch weiterkommt, ich hoffe, dass ich Lügen gestraft werde. Ich bin immer noch ein klein wenig geschockt, genau wie mein kleiner Namensvetter Thomas Müller im Interview. Damit hat niemand gerechnet, es kann nur besser werden. Ein Schlotterbeck war heute nur ein Stotterbeck. Das kann so nicht sein, da habe ich als Verteidiger einen Hals gehabt. Auch Gündogan hat da den Ball unnötig verloren, kurz vor dem Abseitstor. Manuel Neuer hat heute das Spiel gut gelesen und war präsent auf dem Platz.“
HL-SPORTS: Danke Thomas – und dann hoffen wir das Beste. Dir viel Erfolg mit „Küstenkicker“ und natürlich dem Heider SV.
Positive Schlüsse gibt es aus einer 1:2-Niederlage gegen Japan nicht viele. Dementsprechend ist es schwer, Spieler zu loben. Dennoch hat Rüdiger als einziger Spieler in der Defensive eine engagierte Leistung gezeigt und sich in jeden Zweikampf geworfen. David Raum war in der Offensive sehr präsent, hat den Elfmeter rausgeholt und hat auf der linken Außenbahn für gute Momente gesorgt. Defensiv jedoch war auch seine Seite anfällig.