Abu Dhabi – Deutschland hat das zweite Gruppenspiel wieder nicht gewonnen, allerdings auch nicht verloren. In einer hochklassigen und intensiven Partie erarbeitete sich das DFB-Team ein verdientes 1:1 (0:0) gegen Spanien. Spielerisch nicht zu vergleichen mit der Niederlage gegen Japan. Die Japaner verloren gegen Costa Rica 0:1 – und somit steht die Tür zum Achtelfinale noch ein klein wenig offen für das Team von Bundestrainer Hansi Flick. Die Entscheidung fällt am kommenden Donnerstag, wenn die Deutschen auf Costa Rica treffen und die Spanier sich mit einem Unentschieden gegen Japan das Weiterkommen sichern würden. Tobias Chyrek, Inhaber von Physio Power in Lübeck, ist derzeit in Dubai und verfolgt von dort die WM-Spiele der deutschen Mannschaft. HL-SPORTS fragte den Stürmer von Eintracht Groß Grönau, gleichzeitig Athletik-Coach bei den Lauenburgern, zu seiner Meinung.
Schlechte Vorzeichen
Deutschland gegen Spanien. Ein Duell der Giganten. Ein Kräftemessen zweier großen Fußballnationen. So dachte man zumindest. Die Realität schaute vor Sonntagabend etwas anders aus, denn die DFB-Auswahl stand mit dem Rücken zur Wand. Das nächste Desaster bahnte sich an. Die „La Furia Roja“ sind hingegen zum Titelfavoriten auserkoren. Sie starteten mit einem 7:0-Sieg gegen Costa Rica in das Turnier und setzten ein Statement. Zuletzt gewann Deutschland in einem Pflichtspiel 1988. Dass diese beiden Ergebnisse täuschten, zeigte das Spiel gestern Abend. Eine überaus gute Partie boten beide Mannschaften. Für jeden Fußballfan war es ein großer Spaß zum Zuschauen.
Positiver Druck?
Es ist dem deutschen Team gelungen, deutlich kompakter in der Verteidigung zu stehen und dementsprechend wenig zuzulassen. Dass die Spanier trotzdem zu Abschlüssen kamen, war nicht verhinderbar. Früh sorgte Dani Olmo für eine Duftmarke. Manuel Neuer parierte den Schuss mit einer Hand und lenkte den Ball an die Latte. Jedoch wirkte niemand eingeschüchtert. Das DFB-Team war in der Lage, sein eigenes Spiel aufzuziehen und eigene Chance zu kreieren. Dadurch war den Spaniern ein gewisser Respekt anzumerken. Sie wollten den Gegner nicht unterschätzen. Das Abseitstor von Antonio Rüdiger gab dem Spiel nochmal mehr einen kleinen Ruck. Es war beiden Seiten anzumerken, dass der Wille da war, um ein Tor zu erzielen.
Mut zur Lücke
Das Tor von Alvaro Morata in der 62. Minute kam dann nicht ganz aus dem Nichts, aber im Grunde war die „La Seleccion“ nicht mehr ganz so im Spiel, wie sie es zu Beginn der ersten Halbzeit war. Nach der Führung jedoch ließen die Spanier sich immer mehr in die Tiefe fallen und gaben den Deutschen zu viel Raum zum Spielen. Wichtige Faktoren dabei waren die Einwechselspieler Leroy Sane, der viele Chancen herausspielte, Räume öffnete und diese suchte, um Mitspieler ins Spiel zu bringen. Niclas Füllkrug, der sofort eine Präsenz in der gegnerischen Hälfte hatte. „Lücke“ setzte seinen physischen Körper durch, machte hohe Bälle gut fest und verarbeitete diese. Das waren die Grundsteine für den verdienten Ausgleich in der 83. Minute. Füllkrug hätte von Beginn an auf dem Feld stehen müssen. Zusätzlich sind noch mehr Spieler hervorzuheben: Leon Goretzka gewann viele bedeutende Zweikämpfe und zog wichtige Sprints durch. David Raum war offensiv wie defensiv sehr präsent und machte viel Wirbel.
Tobias Chyrek, Chef-Physiotherapeut bei Physio Power, ehemaliger Stürmer in der Jugend des VfB Lübeck und von Rot-Weiß Moisling, gab HL-SPORTS in einem Interview seine Meinung zum zweiten Gruppenspiel.
„Hätte ich nicht gedacht“
HL-SPORTS: Moin Tobias, das Spiel war von beiden Seiten sehr intensiv und sehr gut anzuschauen. Was hat dir am Auftreten nach der Niederlage gegen Japan dieses Mal besser gefallen?
Tobias Chyrek: „Ja, intensiv trifft es sehr gut, beide Mannschaften haben Vollgas gegeben und situativ bis auf den Torwart gepresst. Das hat richtig Spaß gemacht. Mit einigen Fehlpässen von beiden Mannschaften, die zu Tormöglichkeiten geführt haben, als Beispiel von Gnabry in der ersten Halbzeit oder Olmos Lattenknaller. Das Abwehrverhalten des Nationalteams, vor allem Niklas Süle, hat mir gut gefallen. Insgesamt das Verschieben, auch wenn die Spanier immer wieder über links Stiche gesetzt haben und diese trotz einiger, meiner Meinung hundertprozentiger Chancen, nicht verwertet haben. Die Zielstrebigkeit und der Wille, bis zum Ende das Tor zu schießen, waren deutlich stärker als gegen Japan. Rüdigers Abseitstor war ein Ausrufezeichen für die Spanier.“
HL-SPORTS: Du hast selbst als Stürmer gespielt, was kann man immer noch besser machen?
Tobias Chyrek: „Als Stürmer musst du ohne viel nachzudenken, schnelle wichtige Entscheidungen treffen. Erstmal zu Jamal Musiala. Eine technische Meisterleistung. Ich hätte ihm ein Tor gegönnt. Füllkrug hätte ich tatsächlich schon viel eher gebracht. Da er in einer sehr guten Form ist und schon gegen den Oman gezeigt hat, dass er auch für das Nationalteam Tore erzielen kann. Die letzte Spielsituation ist natürlich hängen geblieben. Sane will vorbeiziehen und sicher rüber spielen, um das Tor durch einen seiner Mitspieler festzumachen, jedoch kam dann von mir das Typische „muss er allein machen“, als Stürmer musst du abgebrüht sein.“
HL-SPORTS: Jetzt geht man mit einem guten Gefühl ins letzte Gruppenspiel. Wie denkst du darüber und kommen da nicht Erinnerungen zu 2018 hoch?
Tobias Chyrek: „Ja, die Erinnerungen sind da, das Ziel ist das Gleiche: Den Titel zu holen. Aus Japan haben wir gelernt und vieles aufgearbeitet. Es ist wichtig, die letzten zwei Spiele zu analysieren und nach vorne zu schauen und sich vollkommen auf Costa Rica einzustellen. Was dabei insgesamt rauskommt, hängt auch von dem anderen Spiel ab. Ich denke, dass Spanien weiter stark auftreten wird und Japan besiegen wird. Ich denke, dass Füllkrug seine Chance beim nächsten Spiel von Anfang an bekommen wird und das Spiel mitentscheiden wird.“
HL-SPORTS: Costa Rica besiegt Japan. Wie überrascht warst du darüber?
Tobias Chyrek: „Ich habe das Spiel heute mit meiner Freundin gesehen und wir waren überrascht, ich habe die ganze Zeit über ein Kontertor gesprochen und auf einmal ein Schlenzer mit links. Hätte ich nicht gedacht, nach dem Auftritt von Japan gegen Deutschland.“
HL-SPORTS: Du bist selbst Physiotherapeut und Athletiktrainer bei Eintracht Groß Grönau. Besteht bei Außentemperaturen von 30 Grad eine Gefahr für die Sportler auf Kreislaufprobleme? Sind es Bedingungen, an die man sich als Leistungssportler gewöhnen muss?
Tobias Chyrek: „Als Zuschauer erkennt man bei einigen Teams, dass besonders häufig gewechselt wird. Ich war zu Beginn des Turniers nach den ersten Spielen besonders überrascht über die langen Nachspielzeiten, die selbst Körpern von Spielern aus wärmeren Nationen Schwierigkeiten bereiten kann, wenn sie dann durchspielen. Diese könnten sich auf weitere Spiele auswirken, da die Muskeln und Gelenke eine gewisse Regenerationszeit benötigen. Die Temperaturen sind schon eine mehr Belastung für das Herz-Kreislauf-System. Die Herzfrequenz steigt je nach Laufleistung besonders hoch, was über einen längeren Zeitraum als Beispiel zu Muskelproblemen führen kann, wie Krämpfe oder Konzentrationsschwäche. Es war besonders wichtig, dass die Spieler sich an das Klima einige Tage gewöhnt haben. Auch die ständigen Temperaturwechsel von stark gekühlten klimatisierten Räumen und der starken Hitze stellt den Körper und das Immunsystem auf eine Probe. Jedoch sind die Leistungssportler schnell anpassungsfähig. Ein erhöhter Wasserverlust findet statt. Elektrolyte und Nahrungsergänzungsmittel dienen der Unterstützung für das Körpersystem. Das Nationalteam hat ein starkes medizinisches Team, was top vorbereitet ist. Zum Abschluss bin ich fest davon überzeugt, dass wir das Achtelfinale erreichen. Gleichzeitig schaue ich mit dem anderen Auge auf Polen und drücke meinem Land, wo meine Eltern ursprünglich hergekommen, die Daumen. Meine Mutter hat vor dem WM-Start auf Spanien getippt, jedoch im Herzen für Polen.“