Lübeck – Es waren 22 Spieltage voller Spannung, voller Freude, aber auch vielfach auch voller Zweifel bei den Handballfrauen des TSV Travemünde. Der Klassenerhalt in der 3. Liga Nord, das erklärte Ziel vor der Saison, wurde erst im Entspurt erreicht – eine Zitterpartie, die vielen, allen voran Teammanager Christian Görs, viel Nerven gekostet hat. Umso größer war die Erleichterung nach dem Erreichten , denn schließlich waren die Raubmöwen für die meisten bereits zur Saisonhalbzeit abgestiegen. Doch dank eines enormen Teamgeistes, einer großen Willensstärke in der Mannschaft und eines stets positiven Trainers gelang der jungen Mannschat allen Widrigkeiten zum Trotz die erneute Qualifikation für die kommende Saison. Grund genug für uns, die letzten Monate noch einmal Revue passieren zu lassen.
Von Beginn an stand die zweite Drittliga-Saison unter keinem guten Stern. Ein totaler Umbruch war fällig, nachdem neben Coach Olaf Schimpf auch viele wichtige Spielerinnen den Verein verließen. Und da finanziell keine großen Sprünge drin waren, ging es mit einem kleinen und sehr jungen Kader sowie einem unerfahrenen Trainer in die Saison. Dass dann die Vorbereitung vom Ergebnis her nicht so lief, wie man es sich wünschte, war nicht gut für das Selbstvertrauen. Hinzu kam, dass mit Jeannine Bollmann und Rike Claasen zwei Spielerinnen praktisch die gesamte Saison ausfallen würden.
Alles in allem waren es keine guten Voraussetzungen, doch die Raubmöwen starteten mit einem Achtungserfolg in die Saison. Gegen den späteren Meister TV Oyten begann man mit einem 25:27 vor heimischer Kulisse – ein Ergebnis, was man gegen das abgezockte Team aus dem Landkreis Verden nicht unbedingt erwarten konnte. Doch der kleinen Euphorie folgte Ernüchterung, denn gegen Aufsteiger HSG Jörl-Doppeleiche Viöl setzte es eine herbe 17:31-Pleite. Somit waren die Raubmöwen bereits am dritten Spieltag unter Zugzwang, doch die Nerven hielten gegen den zweiten Aufsteiger HSG Heidmark und Travemünde konnte sich beim 31:24 über die ersten Punkte der Saison freuen – dass es der einzige Sieg bleiben würde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen.
Das Verletzungspech hielt vor allem im Herbst Einzug, immer wieder fielen einzelne Spielerinnen aus und ein kleiner Kader war die Folge. Die Niederlagen gegen den gut gestarteten Nordexpress aus Harrislee (18:25) und den Meisterschaftsmitfavoriten SV Henstedt-Ulzburg (22:28) waren folgerichtig, auch wenn sich die Raubmöwen über weite Strecken sehr gut verkauften. Belohnt wurden die zweifelsohne guten Leistungen im Oktober dann mit einem 31:31 bei Aufsteiger HSV Minden-Nord, wo die Raubmöwen mit kleiner Kapelle ihr Kämpferherz zeigten. Vier Minuten vor dem Ende lag der TSV nämlich noch mit 28:31 hinten und erreichte im Schlussspurt den dritten Saisonpunkt.
Nun hatten alle im Umfeld auf eine Kehrtwende in der Saison gehofft, doch erstmal folgten drei Spiele, die man getrost als Debakel bezeichnen konnte. Vor allem beim VfL Oldenburg II (20:32) wie auch gegen die TSG Wismar (17:30) hatte man sich eigentlich etwas ausgerechnet, doch letztlich kam man aus verschiedenen Gründen genauso unter die Räder wie gegen die zweite Mannschaft des Buxtehuder SV (27:38). Um so wohltuender war dann der Hinrundenabschluss mit einem 27:27-Remis bei den Sportfreunden Vechta und eine knappe 28:33-Niederlage bei der HG OKT. In beiden Spielen war das Kämpferherz wieder da und Trainer Nisius schöpfte genau daraus die Hoffnung für die Rückrunde.
Dennoch: die Meisten dürften die Raubmöwen angesichts von 4:18-Punkten abgeschrieben haben, der Rückstand auf das rettende Ufer betrug zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Punkte. Doch Nisius („Ich langweile euch damit sicher schon!“) hielt an seiner Politik der kleinen Schritte fest und bewahrte seinen Optimismus. Gefördert wurde dieser auch durch die A-Jugendlichen in der Mannschaft, die sich mit der erneuten Qualifikation für das Bundesliga-Viertelfinale und dem Sieg beim Sauerland-Cup, weiteres Selbstvertrauen holten. Dass es mit zwei Niederlagen in Oyten (33:39) und gegen Viöl (23:30) ins neue Jahr ging war zweitrangig, da man die Stärke der beiden Gegner gut einschätzen konnte.
Es folgte der, wenn auch eindrucksvolle, Pflichtsieg bei der HSG Heidmark (34:15), ehe es im zweiten Heimspiel der Rückrunde die Initialzündung bei den Raubmöwen gab. Das 23:23 gegen Harrislee kam unverhofft und entfachte innerhalb der Mannschaft so etwas wie Euphorie. Dass man dann den Meisterschaftsmitfavoriten Henstedt-Ulzburg beim 26:29 am Rande der Niederlage hatte, ließ das Selbstvertrauen weiter nach oben schnellen. Zu Spüren bekamen das die Mitkonkurrenten aus Minden (38:26) und Oldenburg (30:21). Der Anschluss an die Nichtabstiegsplätze war geschafft, der Grundstein für eine spannende Schlussphase der Saison war gelegt.
Doch diese begann mit eine Ernüchterung, denn man musste sich dem späteren Absteiger TSG Wismar mit 26:30 geschlagen geben, der Klassenerhalt aus eigener Kraft war damit praktisch nicht mehr möglich. Mit dem Heimsieg gegen OKT (19:17) hielt man die Hoffnung am Leben, daran änderte auch das klare 22:34 in Buxtehude nichts. Und so gelang es den Raubmöwen am letzten Spieltag die Abstiegsränge zu verlassen und nach dem 28:24 ließen die Travemünder Mädels und ihr Umfeld ihren Emotionen freien Lauf.
Was unter dem Strich bleibt, ist die Erkenntnis, dass die Raubmöwen aus den Gegebenheiten das Optimum rausgeholt habe. Mit den geringen finanziellen Mitteln, dem Umbruch im letzten Sommer und der Unerfahrenheit in Mannschaft und bei Trainer Nisius war der Klassenerhalt das absolute Maximum. Doch mit dem Team- und Kampfgeist, welchen der TSV an den Tag legte, schaffte man noch rechtzeitig den Turnaround. Auch die Kooperation mit der A-Jugend des VfL Bad Schwartau erwies sich erneut als sehr fruchtbar und beide Seiten haben nicht nur aufgrund des Spielermaterials davon profitiert. Und dank der positiven Ergebnisse sowie des unbedingten Willens ist auch das Travemünder Publikum wieder zurück am Steenkamp, honorierte die starke Rückrunde.
Aus dem erfolgreichen Kollektiv der Raubmöwen ist es schwierig Spielerinnen hervorzuheben. Alle hatten ihre Höhen und Tiefen, immer wieder waren es andere, welche in den entscheidenden Momenten die Kohlen aus dem Feuer holten. Mal waren es die Außen um Marthe Nicolai, Sophia Frauenschuh und Lara Kieckbusch, welche die Kohlen aus dem Feuer holten. Dann war es der Rückraum um Jamila Popiol, Pia Dalinger und Toptorschützin Lara Fischer (mit 154 Treffern ligaweit Rang drei), welcher für die Impulse sorgte. Letztlich hat aber jede Spielerin ihren Teil zum Klassenerhalt beigetragen.
Positiv herausheben muss man aber Charlotte Riesner. Die 19-Jährige rückte im Sommer in den Kader auf, hatte aber praktisch die komplette Hinrunde Probleme und fand sich zumeist auf der Bank wieder. Zwischenzeitlich stand sie gar nicht mehr im Kader und sollte nur im Notfall aushelfen. Doch die letzten beiden Spiele der Hinrunde brachten den Umschwung, Riesner fasste neues Selbstvertrauen und Nisius fand eine Rolle für die 1,80m große Rückraumspielerin: neben Luisa Karau und Aleksandra Adamczewska bildete sie den Mittelblock in der Raubmöwen-Abwehr, avancierte sogar zur heimlichen Chefin im Defensivverbund. Zwar zahlte auch Riesner in kritischen Phasen Lehrgeld wie bei der knappen Niederlage in Henstedt-Ulzburg, doch letztlich hat sich das Risiko von Nisius mit ihr ausgezahlt und „Charlie“, wie sie von allen genannt wird, ist vielleicht die große Gewinnerin der Saison.
Nun ist Sommerpause angesagt, wobei im Hintergrund die Planungen für die neue Saison laufen. Erneut wird sich hier und da das Gesicht der Raubmöwen ändern, doch der große Umbruch wie 2015 und 2016 soll nach den Ideen und dem Willen von Teammanager Görs soll nicht erfolgen.
