Lübeck – Für manche Eltern dürfte es ein Schock sein, wenn die eigene Tochter mit 14 Jahren auszieht. Nicht so für Nicole und Daniel Witt. Ihre „Große“ sagte: „Papa, Mama, ich will Handball-Profispielerin werden.“ Noemy „Nono“ Witt spielt seit diesem Sommer beim Buxtehuder SV, dem Frauenhandball-Aushängeschild des Nordens. Dort darf sie in der weiblichen C-Jugend ihr Können unter Beweis stellen. Die Bargteheiderin lebt nun in der niedersächsischen Stadt in einer Wohngruppe mit anderen Mädchen aus ihrem neuen Verein – 80 Kilometer weg von zuhause.
Auszug aus dem Elternhaus
Papa Daniel Witt sagt bei HL-SPORTS zum Auszug von „Nono“: „Für uns war das kein Schock, denn wir haben schon früh gesehen, dass Noemy Talent hat. Es ist jetzt auch nicht so weit weg wie Leverkusen oder Dortmund, dann wäre sie richtig weg. Die Nähe hat uns die Entscheidung etwas leichter gemacht, auch wenn es nicht so einfach ist. Wir wissen aber, welche Ziele unsere Tochter hat.“ Und es bleibt ja noch Noemys Bruder Kjell (12), der beim TSV Bargteheide in der D-Jugend spielt. Im vergangenen Jahr schauten sich Mama und Tochter sogar ein Internat in Dänemark an. Zu weit für den ersten Stepp, da ist die Entfernung kurz hinter Hamburg eher zu ertragen.
Wechsel von Bargteheide zum MTV Lübeck der erste Schritt
Der „Taktikkopf“ Noemy Witt fiel schon vor zwei Jahren Christoph Nisius auf. Der frühere Coach der Travemünder Raubmöwen und TSG Wismar sah sich ein Jugendspiel des MTV Lübeck in Bargteheide an und dabei sah er „Nono“. Damals spielte Noemy Witt als D-Jugendliche schon eine Altersklasse höher und gehörte dort zu den Leistungsträgerinnen. Der Wechsel nach Lübeck war schnell eingefädelt und auch der Weg in die Landesauswahl geebnet.
Nisius ist von Noemy Witt überzeugt
„Nono hat sich die Chance erarbeitet. Sie lebt Handball und hat früh verstanden, dass man sich neben dem Talent auch Dinge erarbeiten muss. Sie hat außergewöhnliche Fähigkeiten und Talente. Insbesondere im Bereich der Handlungsschnelligkeit und Auffassungsgabe ist sie weit überdurchschnittlich. Zudem ist sie im Bereich der Explosiv- und Schnellkraft genetisch gut veranlagt! Die Arbeit mit ihr hat immer Spaß gebracht. Ich drücke ihr die Daumen und glaube, dass sie ihren Weg geht und ihre Ziele und Träume erreichen kann, wenn sie kontinuierlich arbeitet“, sagt Nisius über seine ehemalige Spielerin. Die ist ihm sehr dankbar. „Ich bin sehr froh, dass Christoph mich nach Lübeck geholt hat. Es war die beste Entscheidung. Meine Entwicklung durch ihn wurde so gut und ich bin immer besser geworden und er hat viel für mich eingeleitet. Er ist ein guter Trainer. Wir sind in Kontakt und er fragt, ob alles gut läuft“, so die 14-Jährige bei HL-SPORTS.
Neue Heimat
In Buxtehude angekommen war für Noemy Witt schon nach einer Woche klar: „Es ist so, wie ich mir das vorgestellt habe.“ Dabei traf sie sogar eine ehemalige Weggefährtin wieder, mit der sie vor ein paar Jahren bei einem Talentwettbewerb des THW Kiel überzeugte. Diese lebt nun zusammen mit ihr in der WG. Als Dritte im Bunde der reinen Mädchen-Wohngruppe ist noch eine A-Jugendspielerin dabei. Einkaufen, kochen und saubermachen… alles müssen die drei selbst erledigen.
Emily Bölk hat es geschafft
Schule und Training heißt es an der Este. Das Zusammenspiel klappt beim Buxtehuder SV seit Jahren perfekt. Aus ganz Deutschland kommen die Talente und werden dort ausgebildet. Verantwortlich dafür ist auch Lars Dammann, der gleichzeitig Trainer von „Nono“ in der C-Jugend und weiblichen Jugend B ist. Dort soll die 14-Jährige schon mal reinschnuppern. Der A-Lizenz-Trainer ist von seiner neuen Spielerin begeistert. Nach dem Probetraining bot er Noemy Witt an, dass sie öfter kommen könnte. Dammann ist für die Mädchen da, „wenn mal der Wasserhahn tropft oder es zum Arzt geht oder der Freund sich getrennt hat“, erzählt er.
In Buxtehude erhofft man sich, Nachwuchs für die Bundesliga zu schaffen. Ausbildung statt Kaufen lautet die Devise bei den Niedersachsen. „Das muss gar nicht bei uns sein. Wir haben Franzi Fischer in Mainz und die halbe Mannschaft in Rosengarten ausgebildet. Die Liste ist wohl eine der längsten in ganz Deutschland“, sagt er. Dabei ist vermutlich die aktuell Bekannteste Emily Bölk, die in Buxtehude geboren ist und vor einem Jahr zum ungarischen Verein Ferencvaros Budapest wechselte. In der Nationalmannschaft schaffte sie es bisher auf über 60 Spiele. Zudem wurde die heute 23-Jährige 2018 und 2019 zur Handballerin des Jahres gekürt.
Lange überlegen musste „Nono“ also nicht, um dem BSV-Ruf zu folgen. „Ich wollte gefühlt schon mit zehn Jahren ausziehen, aber das war natürlich noch zu früh. Meinen Eltern war es sicherlich bewusst, dass ich diesen Schritt irgendwann gehen werde. Es ist zwar ein großer Schritt, aber wenn man es nicht ausprobiert, wird man es nie erfahren, wie es ist“, sagt sie. Dabei waren Nicole und Daniel Witt früher selbst aktiv – beim Handball und Volleyball.
Witt ist nicht das erste Talent aus der Region
Noemy Witt ist die nicht die erste Nachwuchsspielerin aus der Region Lübeck, die in Buxtehude landet. Torhüterin Leonie Schumacher aus Lübeck und Paulina Meins vom VfL Bad Schwartau sind ebenfalls den Weg in die Talent-Schmiede des BSV gegangen.
„Sie muss sich quälen“
Zurzeit sind 21 Mädchen im „Internat“ zuhause. „Nono“ ist eines davon. Dammann ist überzeugt von ihrer Stärke: „Ihre Athletik und ihr Wurfkraft sind sehr gut. Manchmal könnte sie sich noch ein bisschen mehr im Training quälen. Sie ist eine absolute Wettkampfspielerin und rennt sich in den Spielen 60 Minuten kaputt. Aber auch wenn kein Trainer guckt, ist das wichtig.“
Nachhilfe gehört dazu
Noemy Witt geht in die 8. Klasse und sie weiß, dass sie mit Handballspielen nicht unbedingt ihren Lebensunterhalt verdienen wird. In der Schule hapert es in einem Fach etwas mehr. Damit „Nono“ in Französisch (war in ihrer alten Schule nicht gefordert, jetzt aber schon) mithalten kann, gibt es Nachhilfe. Darauf legt nicht nur der Verein wert. „Es kann immer sein, dass du nicht Handballerin wirst, sei es durch Verletzungen oder sowas und dann musst du einen Plan B haben. Schule ist auf jeden Fall wichtig. Vielleicht wäre etwas in Richtung Management später etwas für mich. Ärztin werde ich vermutlich nicht, denn ich kann meine schulischen Leistungen ganz gut einschätzen“, sagt sie und grinst dabei.
„Ich möchte für Deutschland spielen“
Zum Training geht es in der Woche vier- bis fünfmal. Noemy Witt hat Ziele: „Ich habe den Traum, in der Bundesliga zu spielen. Ich möchte in die A-Jugend-Nationalmannschaft kommen. Ich möchte für Deutschland spielen und das Land vertreten.“ Zuhause ging das nicht. „Nono“ erklärt: „Es war einfach so, dass Buxtehude viele gute Trainer hat und man viel Gutes von hier hört. Ich erhoffe mir, dass ich mich weiterentwickle.“ Später könnte sie sich sogar eine Karriere im Ausland vorstellen: „Dänemark spricht mich schon an.“
Zeit für viele Freunde bleibt nicht. Wichtig sind ihr drei Dinge: „Ich habe meine Familie, meine besten Freunde und meinen Handball.“
Ein Statement beindruckt
Schon zu „Nonos“ Zeit beim MTV Lübeck gab sie folgendes Statement ab: „Erfolg ist kein Glück!“. Für die Neu-Buxtehuderin ist „Erfolg sehr viel Arbeit. Glück gehört dazu, aber man kann nicht nur Glück haben, um Erfolg zu haben. Man muss sehr viel dafür tun“, ist ihr Motto. Stine Bredal Oftedal ist Noemy Witts Vorbild. „Sie ist wie ich Mittelspielerin, hat sehr viele Titel geholt und ist weltbeste Handballerin“, weiß die Bargteheiderin, die auf den Spuren der Norwegerin ist… In einer Woche starten die Punktspiele und eine neue Welt öffnet sich für die 14-jährige Noemy Witt.