Bad Schwartau – Es war ein Lehrabend der etwas anderen Sorte am Montagabend in der Bad Schwartauer Mensa. Über 200 Schiedsrichter aus dem Kreis Lübeck warteten gespannt auf den „Star des Abends“. Schiri-Boss Boris Hoffmann (rechts im Bild) bot seinem großen Team etwas ganz Besonderes: FIFA- und Bundesliga Referee Tobias Stieler (Foto links) referierte eine Stunde vor den gespannten Augen und Ohren der Nachwuchs- und auch erfahrenen Unparteiischen.

Der 33-Jährige Wahl-Hamburger zeigte sich von einer Seite, die man so in den Spielen, die er leitet von einer ganz persönlichen Seite. Unter dem Motto „Entscheidungen treffen – mit Druck umgehen“ war sein Vortrag ein voller Erfolg.

Stieler sprach von seiner Arbeit als Schiedsrichter, so wie er mit seinen anderen Bundesliga-Kollegen genannt wird. Zwei Trainingslager pro Jahr, 34 Spieltage, DFB-Pokalspiele, Internationale Begegnungen, Video-Portale studieren und Vorträge halten – das ist sein Job neben dem Job. Der Saal, der bis auf den letzten Platz gefüllt war und es sogar noch einige Extra-Plätze hergezaubert werden mussten, staunte nicht schlecht, als er aus dem Nähkästchen von der „Show-Bühne“ Bundesliga plauderte. Ernste und lustige Themen behandelte er dabei und bezog sein Publikum immer wieder mit ein. Einen Lieblingsverein hat der angehende Sport-Psychologe nicht, aber ein paar interessante Geschichten aus seiner bisherigen Schiedsrichter-Karriere brachte er nach Bad Schwartau mit.

„Ich spreche mit den Spielen ganz normal, und ab und zu muss auch mal ein Witz dabei übrig sein“, verriet er und gab eine Sache mit Bayern-Star Philipp Lahm preis. „Er war mit meiner Entscheidung nicht zufrieden, dass ich ein Handspiel von ihm pfiff und fragte mich: Soll ich mir die Hand abhacken? Ich erwiderte: Das sieht doch auch scheiße aus, oder?“ Der 40-fache Bundesliga-Schiedsrichter berichtete, dass selbst Lahm das schmunzelnd aufnahm und grinsend wieder wegging. Die Lübecker feierten Stieler dafür und kamen aus dem Lachen nicht heraus. Es gab auch ernste Themen, die den Druck der Unparteiischen aufzeigte.

Zum Beispiel zeigte er andersherum auf, wie sehr ein Verein von einem Bundesliga-Abstieg betroffen wäre. Studien aus den vergangenen Jahren zeigen, dass diese Wirtschaftlichen Auswirkungen die Clubs hart treffen. Auch die verpasste Qualifikation der Engländer zur Europameisterschaft 2008 brachte eine unvorstellbare Fehlsumme zum Vorschein: 1 Milliarde Euro kostete dieses Malheur das Mutterland des Fußballs. Der Saal verstummte, doch Stieler schaffte es seine „Kollegen“ aufzubauen und stellte strittige Video-Szenen aus hochklassigen Partien zur Diskussion dar.

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3.600 Euro Honorar erhält ein Schiedsrichter für ein Bundesligaspiel, dazu noch ein Grundgehalt. Leben lässt es sich davon nicht schlecht, doch es sind nicht nur die 90 Minuten, die dazugehören. Die Anreise zu einem Spiel erfolgt einen Tag davor. Die Abreise einen Tag nach der Begegnung. Wenn man noch internationale Auftritte hat, ist man nur einen Tag zuhause und gleich wieder weg. Athletik-, Fitness-, Konzentrations-Training ist nur eine Sache, die ein Elite-Schiedsrichter wie Stieler mitbringen und auch halten muss. „Man bereitet sich auf jedes Spiel individuell vor. Mit was für Spielertypen habe ich es zu tun. Worauf muss man besonders achten“, sagt er. Und im Spiel selbst?

Der Puls bewegte sich im Bundesliga-Spiel zwischen dem VfL Wolfsburg und Mainz 05 zwischen 145 und 180. „Es ist schon Stress, weil du permanent alles im Blick haben musst. Elfmeter sind besonders anstrengend. Du musst den Torwart, den Schützen und die Spieler außerhalb des Strafraums im Blick haben“, erzählt er und fragt in die Runde: „Wisst ihr, in welchem Zeitraum ein Schiedsrichter Entscheidungen trifft?“ Fragende Blicke von den mehr als 200 Anwesenden… Verschiedene Zahlen wurden in den Raum geworfen und Stieler löst auf: „Es sind durchschnittlich 0,7 Sekunden zwischen Wahrnehmung und Pfiff.“ – Stille im Saal! „Man wartet nicht sekundenlang, man muss sofort entscheiden“, erklärt der 33-Jährige, der in der Jugend selbst im Tor spielte. „Im Tagesgeschäft Bundesliga darf man sich nicht zu viele Fehler erlauben, sonst ist man weg“, so der sympathische Hesse.

Bei den Fragen im Anschluss an seinen professionellen Vortrag beantwortete er alle Fragen genau und nahm sich die Zeit. Keine Hatz, keine Lächerlichkeiten bei den Antworten. Den Lübeckern sah man die Freude über den hohen Besuch an und dabei kam die Frage, nach der peinlichsten Aktion in Stielers Laufbahn. „Es war im Erstrunden-DFB-Pokalspiel zwischen dem FC Teningen und Schalke 04. Beim Stand von 8:1 für die Schalker wurde ich unabsichtlich angerempelt und verlor dabei meine Pfeife. Was machst du nun, fragte ich mich. Das Spiel ging weiter und die beiden Teams spielten und spielten. Über Funk fragte ich beim vierten Offiziellen nach, ob er eine Ersatzpfeife dabei hätte. Er verneinte. Da meldete sich mein Assistent von der Seite und sagte: Ich habe sie in der Kabine gelassen. Ich lief auf den Schalker Raul zu und nahm ihm den Ball weg. Er schaute mich an, wie ein Auto und zum Glück lief der Kollege von draußen in die Kabine und holte eine Ersatzpfeife. Das war schon peinlich und lustig zu gleich.“

Nach fast drei Stunden gab es noch viele Fotos und persönliche Gespräche zwischen den Lübecker Schiris und dem „Mann von Welt“. Es war ein Abend, den besonders die jungen Nachwuchs-Referees nicht vergessen werden. Hoffmann, der das Ganze organisierte, strahlte über das ganze Gesicht…

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