Der Schock sitzt tief. Allerdings nicht nur bei den vielen Briten, die sich von der knappen Mehrheit ihrer Zukunft beraubt sehen oder die instabilen Märkte. Auch bei mir stellt es einen krassen Kontrast zu den vergangenen Tagen dar. Nach dem schauderhaften Beginn der EM waren die vielen Videos, von vermeintlichen Gegnern, die zusammen feierten und den Fußball auch in Innenstädten singend zelebrierten, wie Balsam für die Seele.
Ich selber erwischte mich dabei, den bisher noch nicht eingesetzten nordirischen Stürmer Will Grigg anzufeuern. Der Schlachtruf ist bekannt und ich verzichte darauf, den Ohrwurm künstlich zu produzieren. Es war klasse zu sehen, wie gerade die Anhänger der vielen neuen Mannschaften, wie die der Nordiren, Iren, Isländer und auch Albaner in der Farbe getrennt, allerdings in der Sache vereint dieses europäische Fußballfest zum Leben erweckten.
Nun wird dies gespalten. Der Brexit könnte fatale Folgen haben. Weltstars, wie Bale stehen bei Real Madrid auf einmal vor dem Aus, da die in Spanien auf drei Spieler beschränkte Nicht-EU-Ausländer-Regel überschritten würde. Die Premier League, das Spitzenprodukt in Sachen Finanzen, könnte bald wieder auf den Stand vor der Zeit der Investoren zurückfallen. Für die Three Lions wäre dies vermutlich hilfreich, allerdings nicht für die Wettbewerbsfähigkeit der Premier League. Bei der nächsten EM ist es dann auch durchaus möglich, eine vereinte Irische Nationalmannschaft zu erleben. Folgen eines einzigen Votums, die keiner absehen kann oder mag.
Es bleibt zu hoffen, dass die zuletzt grandiose Stimmung keinen Abriss findet. Ich muss mich nämlich tatsächlich als ein großer Fan dieser Großereignisse outen. Bereits zur WM 2006 genoss ich es, die vielen verschiedenen Kulturen beim gemeinsamen Miteinander erleben zu dürfen, dieser Trend setzt sich bis heute fort. Zu den größten Erlebnissen zählte das gemeinsame Feiern beim Public Viewing in der Lübecker Musik- und Kongresshalle. Diese Ereignisse stehen für mich, für die junge Generation, fürs Zusammenkommen, für gemeinsame Erlebnisse, unabhängig von Nationen.
Da macht es mich tatsächlich nachdenklich, wie die Europäer dennoch so auseinander driften. Patriotismus ist gut, ein jedes Land sollte ein gesundes Selbstbewusstsein haben dürfen. Es obliegt jedoch uns, ob wir den Aktionismus von Nationalisten zulassen und die über Jahrzehnte gewachsenen Verbindungen schlichtweg aufgeben, anstatt darum zu kämpfen, wie die Jungs es uns auf dem Feld vor machen. Unsere Nationalmannschaft ist das perfekte Beispiel für gelungene Integration. Daran sollte man sich ein Beispiel nehmen. Gemeinsam Jogis Jungs feiern, gemeinsam in die Zukunft starten.
Davor stehen nun die ersten Achtelfinalspiele an. Der Achtelfinal-Samstag startet zunächst mit einem Duell zweier unser Nachbarländer. Um 15 Uhr treffen in Saint-Etienne die Schweiz und Polen aufeinander. Um 18 Uhr kommt es in Paris zum britischen Bruderduell zwischen Wales und Nordirland. Am Abend, um 21 Uhr, trifft dann Spanien-Bezwinger Kroatien in Lens auf die bisher mit lediglich drei Unentschieden enttäuschenden Portugiesen.