Zum neunten Mal in den letzten 16 Jahren, also in der Zeit seit Roman Abramovich im Besitz des Londoners Traditionsclubs ist, wird Chelsea einen neuen hauptverantwortlichen Trainer ernennen. Zählt man auch alle Interimstrainer hinzu, so haben die Blues in dieser Zeit bereits 14 verschiedene Manager in der Kabine an der Stamford Bridge gesehen, viele erfolgreiche, jedoch so mancher versuchte es lediglich mit Zaubersprüchen.
Also im Grunde nimmt wieder einmal alles seinen gewohnten Lauf, sowohl für den Verein als auch für die Fans, die sich bereits an das Kommen und Gehen gewöhnt zu haben scheinen. Aber es gibt für die kommende Saison doch eine kleine aber feine Ausnahme, denn die Spielzeit 2019/20 verspricht doch ganz anders auszusehen als jene der vergangenen Jahre.
Jeder der acht vorherigen Vollzeitmanager, die jeweils vor einer neuen Saison ernannt wurden, kam mit einem umfangreichen Lebenslauf und mit beeindruckendem Erfolgen nach London. Alles hat mit Jose Mourinho im Jahr 2004 begonnen. Der Portugiese war nach dem Gewinn der Champions League mit Porto der gefragteste Fußballtrainer der Welt. Dann kam Luiz Felipe Scolari, der Brasilien zur WM geführt hatte.
Carlo Ancelotti war der nächste, der im Juni 2009 nach acht Jahren beim AC Mailand zwei Europapokale gewann. Sogar Andre Villas-Boas, der damals als die heißeste Aktie auf dem Trainermarkt in Europa galt, nahm das Zepter nach einer Rekordsaison in Portugal bei den Blues in die Hand.
Anschließend wurden die Zügel an Roberto Di Matteo – dem bei weitem am wenigsten Erfahrene der acht Spitzentrainer – übergeben, und gerade er war es, der Chelsea zwischenzeitlich zu seinem ersten Triumph in der Champions League führte. Aber auch er wurde bald seines Amtes enthoben und der Weg stand frei für die zweite Amtsperiode für „the Special One“ – Jorge Mourinho, der zurück an die Stamford Bridge kehrte.
Der nächste in dieser erlauchten Reihe von Spitzentrainern war Antonio Conte, der sowohl mit Juventus als auch mit der italienischen Nationalmannschaft Erfolge feiern konnte, ihm folgte sein Landsmann Maurizio Sarri nach, der jüngste von allen, der vor zwölf Monaten das Amt übernahm, nachdem er für seine Arbeit in Neapel großes Lob erhalten hatte.
Unabhängig von der Einschätzung, wie sich die einzelnen Manager während ihrer Zeit bei Chelsea entwickelt haben, hatten sie alle – mit Ausnahme von Di Matteo – bereits große Erfahrungen im Top-Management gesammelt. Sagen wir es einmal so: Abramovich hatte immer einen speziellen Typen im Visier.
Aber jetzt – so scheint es – ist Chelsea an einem Scheideweg angekommen, denn mit der Berufung von Frank Lampard ist es zu einer extremen Abkehr von seiner Führungsnormen gekommen. Der neue Steuermann hat sich zwar als Spieler einen legendären Status erarbeitet, im Management muss er sich jedoch noch die Sporen verdienen.
Am Dienstag gab Derby County – der Championship-Club, bei dem zurzeit Lampard beschäftigt ist – bekannt, dass sie ihrem 41-jährigen Cheftrainer die Erlaubnis erteilt haben, in Gespräche mit Chelsea einzutreten. Von einem Scheitern der Verhandlungen ist kaum auszugehen, deshalb wird es immer wahrscheinlicher, dass Chelsea einen Manager in der kommenden Saison sein Vertrauen schenken wird, der lediglich eine einzige Spielzeit an Trainerpraxis in der zweithöchsten Liga Englands mitbringen wird.
Abgesehen von Mourinhos zweitem Amtsantritt wird jedoch keiner der vorherigen Manager bei den Chelsea-Anhängern so viel Vorschusslorbeeren vorfinden wie Frank Lampard, der in seiner 13-jährigen Karriere beim Verein auch der Rekordtorschütze Chelseas ist, als Ballgenie vergöttert wurde und daher auch als die treibende Kraft für die kommende Saison angesehen wird.
Ein Weltklassespieler zu sein war jedoch noch nie ein Indikator für den Erfolg eines Managers, und während Lampard seine Karriere ermutigend begonnen hat und Derby zum Play-off-Finale geführt hat, in dem jedoch sein Team aus dem Pride-Park im Aufstiegskampf gegen Aston Villa verloren hat, ist es auf keinen Fall zu übersehen, dass er für einen Verein von der Größe Chelsea und dessen Ambitionen doch ein wenig zu unerfahren scheint.
Während sich in den letzten Jahren ähnliche Ernennungen von Vereinslegenden als erfolgreich erwiesen haben – vor allem Pep Guardiola in Barcelona und Zinedine Zidane bei Real Madrid -, betritt Lampard bei Chelsea vollkommenes Neuland.
Der frühere englische Mittelfeldspieler übernimmt die Verantwortung für einen Kader, der gerade Spieler wie Eden Hazard verloren hat – einem Spieler, der in den vergangenen Spielzeiten nicht nur der beste Chelsea-Akteur war, sondern auch im Alleingang die Risse innerhalb einer Mannschaft ohne echte Stars kitten konnte.
Schlimmer noch, Lampard wird die 100 Millionen Euro, die Real Madrid für den belgischen Angreifer erhalten hat, nicht in den dringend benötigten Ersatz reinvestieren können, da es gegenwärtig für Chelsea ein Transferverbot für zwei Spielzeiten verhängt wurde.
Für einen Verein, der in einem Zustand beständiger Instabilität zu operieren scheint, birgt die kommende Spielzeit die Gefahr, dass Chelsea in der Premiere-League gänzlich den Anschluss an die Spitze verlieren wird, vor allem dann, wenn die Pläne Lampards nicht aufgehen sollten.
Kann Lampard in einem solchen Umfeld mit der Verantwortung umgehen? Ob er die Qualität hat ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar – Chelsea hat aber auf jeden Fall die Richtung vorgegeben.
Wenn der Verein jedoch für seinen nächsten Trainer mögliche Normabweichungen zugestehen möchte, müssen sie auch von ihren üblichen kurzfristigen Erwartungen abweichen.
Chelsea hat sich darauf bereits eingelassen, Hazard diesen Sommer ohne gleichwertigen Ersatz ziehen zu lassen, und es sieht so aus, als ob sie das Rad bei der Ernennung eines neuen Managers erneut drehen könnten.
Wie bei jedem Glücksspiel gibt es niemals Garantien, insbesondere wenn Sie an Spielen mit hoher Varianz teilnehmen, die auch an der Stamford Bridge üblich sind. Chelsea muss jedoch ein langfristiges Ziel bei der Lampard Ernennung gehabt haben und ihm daher auch die Zeit zugestehen um die gewünschten Änderungen vorzunehmen und seine Philosophie im Verein wirken zu lassen.
Bei Chelsea mangelte es jedoch immer schon an Geduld und Unterstützung, denn seit Abramovich begann, seine Milliarden in den Premier League-Club zu investieren, war der sofortige Erfolg schon immer schon das höchste das Gebot, oft unabhängig von den Umständen in denen sich der Verein befand. Aber wie es uns die Statistik lehrt, hat es in den letzten 16 Jahren ja durchaus funktioniert: Kein englischer Club hat es seit 2003 geschafft mehr Trophäen zu sammeln als die Blues.
Aber die Voraussetzungen haben sich in der Premier League seit damals erheblich verändert. Chelsea ist jetzt Teil einer Verfolgungsgruppe von Mannschaften, die versuchen, die Lücke zu den Topteams Manchester City und Liverpool zu schließen. Chelsea gilt nicht mehr als der Favorit schlechthin für die Meisterschaft, und sie haben auch nicht mehr die finanzielle Macht um zumindest mit ihre Rivalen gleichwertig zu sein.
Sofern diese Saison nicht im Chaos für die Londoner enden wird, sollte Lampard in diesem Jahr eine Art Freikarte erhalten und dadurch seine Ideen den Spielern vermitteln zu können und die besten und talentiertesten Nachwuchsspieler von Chelsea in die Kampfmannschaft integrieren. Auch wenn die Top-4 nicht erreicht werden sollten und Chelsea bei den Pokalwettbewerben Probleme haben wird, müssen die Machthaber des ehemaligen Champions-League Gewinners einen gewissen Nachsicht walten lassen und Lampard die einzige Ware zur Verfügung stellen, die den früheren Managern bisher nie zur Verfügung hatten: Zeit.