Was ist das für ein Auftakt in die WM! Schon nach vier Spielen diskutieren wir über die Schiedsrichter, staunen über die Flugkünste eines Robbie van Persie und sehen die Wiedergeburt der Klopper-Urus in Person von Maxi Pereira. Nicht zu vergessen sind die zwei großen Überraschungen (oder sollen wir schon das Wort Sensationen gebrauchen?) der ersten Tage. Holland nagelt Spanien förmlich vom Platz und aufopferungsvolle Ticos aus Costa Rica schlagen behäbige Urus völlig verdient. Für den Fußballfan toll, für die Tipper ein Graus, denn bei mir droht gleich zwei getippten Halbfinalisten das Aus.
Apropos Sensationen: Welche Sensationen gab es in 84 Jahren WM-Geschichte? Was war so überraschend, dass wohl keiner dran dachte. Hier ist mal eine ganz subjektive Top 6 der größten Sensationen aus bisher 19 Weltmeisterschaften.
Platz 6: WM 1990: Kamerun – Argentinien 1:0
Die unbezähmbaren Löwen hatten sich zum zweiten Mal in ihrer Geschichte für die WM qualifiziert und durften das Eröffnungsspiel gegen den Weltmeister Argentinien mit Stars wie Maradona, Burruchaga, Sensini oder Balbo bestreiten. Doch Trainer Valeri Nepomnyaschiy erwies sich als echter Fuchs und stellte seine Mannschaft gut ein.
Kana-Biyik störte Maradonas Kreise entscheidend und so kam der Weltmeister kaum ins Spiel. Auch die Rote Karte gegen Kana-Biyik sollte daran nichts ändern. Stattdessen stand Francois Oman-Biyik richtig und nutzte einen Fehler von Pumpido im Gaucho-Kasten zum 1:0. Diesen Vorsprung verteidigten die Löwen bis zum Ende.
Am Ende der Gruppenphase erreichten beide Mannschaften die K.o.-Runden. Argentinien wurde bekanntlich Vizeweltmeister und Kamerun scheiterte erst im Viertelfinale an England.
Platz 5: WM 1950: Brasilien – Uruguay 1:2 Platz 4: WM 1974 DDR – BRD 1:0
Das Nationaltrauma von Brasilien hängt noch heute wie ein Damokles-Schwert über dem Stadion von Maracana. Brasilien war vor heimischer Kulisse der große Favorit im letzten Spiel der WM und benötigte ein Unentschieden gegen den Nachbarn aus dem Süden. Entsprechend war die Stimmung, die in der 47. Minute auf den Siedepunkt stieg, als Frianca die Brasilianer mit 1:0 in Führung schoss. Auch als Uruguays großer Star, Juan Schiaffino, den Ausgleich besorgte, war für die fanatischen Fans alles gut. Doch elf Minuten vor dem Ende fasste sich Alcides Ghiggia ein Herz und stach mit seinem 2:1 einen Dolch ins Herzen des brasilianischen Volkes.
Das Trauma hat sogar einen eigenen Namen: Maracanaço!
Der Rest ist aber dann Geschichte: In der Zwischenrunde musste die DDR gegen die Favoriten Holland und Brasilien ran und schied aus. Die BRD sammelte alle Kräfte, kam souverän ins Finale und besiegte dort Holland mit 2:1. Weltmeistertitel Nummer zwei war perfekt.
Platz 3: WM 1966: Italien – Nordkorea 0:1
1966 konnte sich erstmals eine Mannschaft aus Fernost für die WM qualifizieren und war gleichzeitig die große Unbekannte des Turniers im Mutterland. Die Mannschaft, die sich komplett aus der koreanischen NVA rekrutierte, war kaserniert und nichts wurde gewahr. Zum Start gab es ein Unterschieden und eine Niederlage. Italien hingegen war eine mit Stars gespickte Truppe um Gianni Rivera, Sandro Mazzola und Keeper Enrico Albertosi. Mit einem Sieg und einer Niederlage war man passabel in die WM gestartet.
Doch im entscheidenden Spiel ging bei den Italienern nichts, zudem mussten sie ab der 34. Minute mit zehn Mann agieren. Kurz vor der Pause besorgt Pak Doo-Ik mit einem Fernschuss das goldene Tor. Anschließend verteidigten die emsig rennenden Koreaner die Führung. Nordkorea kam weiter, Italien war raus.
Während Nordkorea im Achtelfinale gegen Portugal ran musste (und verlor), wurde die Mannschaft Italiens mit faulen Eiern und Tomaten am Flughafen empfangen. Es kam sogar zu einer handfesten Regierungskrise in Italien.
Platz 2: WM 1950: USA – England 1:0
1950 gab es die große WM-Premiere für das Mutterland. Vor dem Krieg hatte England die Weltmeisterschaften gemieden, nun wollte man gleich den Titel. Trainer Walter Winterbottom hatte alles an Stars aufgeboten, was England an Stars zu bieten hatte. Tom Finney oder Stanley Matthews waren damals das Beste, was die Insel und vielleicht sogar Europa zu bieten hatten.
Die USA waren auch erstmals dabei, galten aber als der größte WM-Außenseiter bis dato. Doch schon gegen Spanien hatten die Amis ihr Können aufblitzen lassen.
Wie so oft spielte der Favorit behäbig und wollte mit halber Kraft die Punkte holen. Die Amis hatten nichts zu verlieren und gingen durch Joe Gaetjens Kopfballtreffer mit 1:0 in Führung. England war geschockt und kam nicht mehr zum Ausgleich. Am Ende schieden sie wie die USA nach der Vorrunde aus.
In England sorgte das Ergebnis erst nach Wochen für einen Schock, denn als die Zeitungen damals das Ergebnis druckten, glaubten die Leser, einem Aprilscherz oder einem Druckfehler aufgesessen zu sein. Erst bei der Rückkehr der Mannschaft (per Schiff) klärte sich alles restlos auf und versetzte das Mutterland des Fußballs in einen kollektiven Schockzustand.
Noch heute gilt dieses Spiel als Mutter aller Sensationen.
Platz 1: WM 1954: Deutschland – Ungarn 3:2
Das Wunder von Bern: Mehr muss man eigentlich nicht sagen. Bereits in der Vorrunde standen sich Deutschland und Ungarn gegenüber, ein Spiel, das die Magyaren auf Grund taktischer Spiele von Sepp Herberger (er ließ die Ersatzbank ran) deutlich mit 8:3 gewannen.
Im Finale galten sie nicht nur deshalb als Favorit, denn zuvor waren die Ungarn seit 1950 ungeschlagen. Namen wie Puskas, Hidegkuti oder Kocsis lassen die Herzen unserer älteren Mitbürger noch heute bis in den Himmel springen.
Die deutsche Mannschaft hatte sich im Turnier gefangen und vor allem beim 6:1 gegen Österreich brilliert. Die Welt horchte nun auch bei Namen wie Fritz Walter oder Helmut Rahn auf.
Das Finale begann wie es allgemein erwartet wurde. Im strömenden Regen in Bern führte Ungarn durch Tore von Ferenc Puskas und Zoltan Czibor schnell mit 2:0. Doch die ebenso schnelle Antwort durch Max Morlock und Helmut Rahn zeigte den Ungarn, dass es nicht so leicht werden würde wie in der Vorrunde. Die Partie wogte hin und her, Toni Turek im deutschen Tor wurde dabei zum „Fußballgott“ und „Teufelskerl“, ehe dann die 84. Minute folgte. Besser als mit den Worten von Herbert Zimmermann kann man es auch 60 Jahre später nicht sagen: „Sechs Minuten noch im Wankdorf-Stadion in Bern. Bozsik, immer wieder Bozsik, hat den Ball verloren an Schäfer. Schäfer nach innen geflankt. Kopfball, abgewehrt, aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen…Rahn schießt….TOR, TOR , TOR, TOR!“
Der Rest ist Fußballgeschichte!